BIZ-Quartalsbericht, September 2019 - Medienorientierung

BIS speech  | 
22. September 2019

Claudio Borio's remarks | Hyun Song Shin's remarks


Claudio Borio

An den Märkten herrschte ein Auf und Ab. Die Handelsspannungen drückten die Märkte nach unten; die Geldpolitik verlieh ihnen wieder Auftrieb. Während das ständige Auf und Ab anhielt, bewegte sich ein Vermögenspreis nur in eine Richtung: Anleiherenditen blieben im Abwärtstrend und erreichten einen neuen Tiefstand.

Im BIZ-Quartalsbericht vom März 2019 ging es um zwei Phasen, die den Berichtszeitraum prägten. Dieses Mal sind es zwei Kräfte. Die vergangenen drei Monate wurden von den Handelsspannungen zwischen den USA und China dominiert, doch auch andere Länder, wie Mexiko, blieben von neuen Zollandrohungen nicht verschont. Wie schon in der Vergangenheit, gerieten risikobehaftete Vermögenswerte durch die sich abzeichnende Eskalation des Handelskonflikts stark unter Druck: Aktienkurse gaben nach und Spreads von Unternehmensanleihen stiegen. Und als die Zentralbanken als Reaktion auf die Eintrübung des Konjunkturausblicks und die verschärften Finanzierungsbedingungen vorsorglich die Zinsen senkten, erholten sich die Preise von risikobehafteten Vermögenspreisen wieder. Die Inflation hingegen verharrte hartnäckig auf tiefem Niveau.

Vor diesem Hintergrund gaben die Renditen von Staatsanleihen natürlich weiter nach, einmal bedingt durch die Aussichten auf eine nachlassende Wirtschaftstätigkeit und höhere Risiken, ein andermal durch die beruhigenden Lockerungsmaßnahmen der Zentralbanken. Einmal, bevor die Renditen wieder anzogen, erreichte der Umfang der Staats- und sogar Unternehmensanleihen mit negativen Renditen einen neuen Höchststand: gewissen Schätzungen zufolge über $ 17 Bio, was ungefähr 20 % des weltweiten BIP entspricht. Tatsächlich konnten auch einige private Haushalte Negativzins-Kredite aufnehmen. Für das Privileg, ihr Geld loszuwerden, sind immer mehr Anleger bereit, draufzuzahlen. Selbst zum Höhepunkt der Großen Finanzkrise von 2007-09 wäre dies undenkbar gewesen. Es ist etwas beunruhigend, wenn das Undenkbare zum Normalfall wird.

Freilich, Epizentrum der meisten Finanzmarktereignisse waren die USA. Trotzdem wurden angesichts der globalen Dimension des Handelsstreits, der Größe der US-Finanzmärkte und der internationalen Bedeutung des US-Dollars auch viele andere Länder der Welt in Mitleidenschaft gezogen. Sowohl in fortgeschrittenen als auch in aufstrebenden Volkswirtschaften lockerten die Zentralbanken die geldpolitischen Zügel. Zuletzt schloss sich die EZB an und wählte für ihre geldpolitische Lockerung einen mehrgleisigen Ansatz: Senkung des Leitzinses tiefer in negatives Terrain, Erweiterung der Forward Guidance - die jetzt an die Erreichung des Inflationsziels geknüpft ist-, Wiederaufnahme der Anleiheankäufe und großzügigere Bedingungen bei Spezialfinanzierungen für Banken.

Die Wechselkurse blieben nicht länger von dem Zusammenspiel aus Handelsspannungen und geldpolitischen Reaktionen unberührt. Währungen aufstrebender Volkswirtschaften werteten gegenüber dem US-Dollar am stärksten ab, nicht zuletzt nachdem die chinesische Währung die psychologische Schwelle von $ 7 durchbrochen hatte. Der US-Dollar blieb jedoch weitgehend stabil gegenüber den Währungen fortgeschrittener Volkswirtschaften, was zum Teil auf die bereits erfolgte oder erwartete geldpolitische Lockerung in diesen Ländern zurückzuführen war. Die Abwertung des Pfund Sterling war dabei eine offensichtliche Ausnahme. Der Wechselkurs-Geldpolitik-Nexus wurde Bestandteil der Handelsrhetorik, was weitere Spannungen auslöste.

Mit der Verlangsamung der globalen Wirtschaft richteten die Marktteilnehmer ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Inversion der Renditenstrukturkurve, also darauf, dass kurzfristige Anleihen höher als langfristige rentieren. Dieser genau beobachtete Indikator einer künftigen Rezession schürte wiederum Bedenken an den Finanzmärkten, was die langfristigen Zinsen womöglich nach unten drückte und die Inversion der Kurve verstärkte. Im Gegensatz zur Vergangenheit jedoch ist die Inversion auf historisch niedrige Laufzeitprämien zurückzuführen, die teilweise den Anleiheankäufe der Zentralbanken zuzuschreiben sind. Die Laufzeitprämie weist keine vergleichbaren Eigenschaften als Vorzeichen einer Rezession auf. Wie in einem Kasten erläutert, sollten die Signale, die von der Renditenstrukturkurve ausgehen, sehr vorsichtig interpretiert werden, nicht zuletzt, weil die Federal Reserve keine Zinsstraffung, sondern eine Lockerung vornimmt. Auch zeichnen andere Indikatoren ein weniger pessimistisches Bild.

Ungeachtet dessen stellen die Bonität der Nichtfinanzunternehmen im Allgemeinen und insbesondere der Zuwachs der gehebelten Kredite klare Schwachstellen dar. Aufgrund der aggressiven Risikoübernahme und dem Streben nach Rendite dient ein wachsender Anteil dieser Bankkredite an hoch verschuldete Unternehmen als Grundlage für strukturierte Verbriefungen, auch bekannt als Collateralised Loan Obligations (CLO). Es gibt enge Parallelen zu den berüchtigten forderungsgedeckten Schuldverschreibungen, den sog. Collateralised Loan Obligations (CDO), die überwiegend zur Weiterverbriefung zweitklassiger hypothekenbesicherter Wertpapiere dienten und während der Großen Finanzkrise eine zentrale Rolle spielten. In einem Kasten werden Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Arten von Instrumenten sowie die allgemeineren Marktstrukturen untersucht. Die Autoren des Kastens kommen zu dem Schluss, dass das Bild zwar kaum Anlass zur Sorge gibt, finanzielle Anspannungen aber dennoch möglich sind. Dies gilt insbesondere angesichts der Konzentration einiger bekannter Bankengagements, der Ungewissheiten bezüglich der Größe und Verteilung indirekter Engagements und des seit der Krise verzeichneten Anstiegs bei Kapitalmarktfinanzierungen. Darüber hinaus dürften Verluste bei diesen Anlageklassen und gehebelte Kredite im Allgemeinen eine Konjunkturabkühlung weiter verschärfen.

Was bedeutet all dies für die Finanzmärkte und die Geldpolitik? Ungeachtet des Auf und Ab an den Finanzmärkten und der Bedenken hinsichtlich einer weiteren weltweiten Abschwächung sind die finanziellen Rahmenbedingungen aus historischer Perspektive weiterhin ziemlich locker. Die Spreads von Unternehmensanleihen sind eher niedrig und Aktienbewertungen eher hoch. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verschlechtert, doch bisher kann ein auf globaler Ebene deutlich größerer und stärkerer Dienstleistungssektor die durch die deutliche Verlangsamung im verarbeitenden Gewerbe erlittenen Einbußen eindämmen. Die Inflation verharrt hartnäckig auf tiefem Niveau. Vor allen Dingen aber hat sich der Prozess der geldpolitischen Normalisierung gekehrt: Leitzinsen werden wieder gesenkt, und die Bilanzen der Zentralbanken wachsen insgesamt wieder. Der geldpolitische Spielraum ist weiter geschrumpft. Sollte es zu einem Abschwung kommen, wird die Geldpolitik Unterstützung brauchen, nicht zuletzt durch die Umsetzung vernünftiger fiskalpolitischer Maßnahmen in den Ländern, die noch über Spielraum verfügen.

Hyun Song Shin

Während der Großen Finanzkrise stellten die Probleme der großen, verflochtenen Finanzinstitute eine Gefahr für die Finanzstabilität dar. Aufgrund dieser Erfahrungen leiteten die Regulierungsinstanzen Reformen ein, um die von diesen Instituten ausgehenden systemischen Risiken abzuschwächen. Eine wichtige Reform war die vom Basler Ausschusses für Bankenaufsicht 2011 veröffentlichte Rahmenregelung zur Abschwächung von Risiken, die von global systemrelevanten Banken (G-SIB) ausgehen. Diese Rahmenregelung verfolgte zwei Ziele. Erstens die Verbesserung der Widerstandsfähigkeit von G-SIB, um so die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls möglichst gering zu halten. Zweitens die Verringerung der Systemrelevanz von G-SIB, um so die Auswirkungen auf das Finanzsystem im Falle von Anspannungen einzudämmen.

In "Playing it safe: global systemically important banks after the crisis", untersuchen Tirupam Goel, Ulf Lewrick und Aakriti Mathur, ob sich die Widerstandsfähigkeit und Systemrelevanz von G-SIB im Gleichklang mit den Zielen der Rahmenregelung entwickelt haben. Sie stellen fest, dass nach der Krise die G-SIB tatsächlich ihre Bilanzen in einer Weise angepasst haben, die der von der Regelung beabsichtigten Wirkung entspricht.

Um Tendenzen in Bezug auf die Widerstandsfähigkeit zu beurteilen, schätzen sie Wahrscheinlichkeiten einer Notlage. Dazu verwenden sie ein Modell, das Marktindikatoren für eine Notlage mit bankspezifischen Risikofaktoren und makroökonomischen Variablen kombiniert. Ihre Schätzungen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeiten einer Notlage seit Einleitung der Reformen zurückgegangen sind, was hauptsächlich auf einen Rückgang der risikogewichteten Aktiva im Verhältnis zum Eigenkapital und stabilere Refinanzierungsquellen zurückzuführen ist. Außerdem stellen sie fest, dass während dieses Zeitraums die Wahrscheinlichkeiten einer Notlage für G-SIB stets niedriger waren als für Nicht-G-SIB.

In Bezug auf die Systemrelevanz zeigen die vom Basler Ausschuss zur Ermittlung von G-SIB berechneten Scorewerte, dass die Systemrelevanz von G-SIB seit Einführung der Rahmenregelung für G-SIB nachgelassen hat, sowohl gegenüber anderen Banken als auch gegenüber dem gesamten Finanzsystem. Der Abbau der Komplexität war ein entscheidender Faktor für diesen Rückgang. Sowohl die geringeren Wahrscheinlichkeiten einer Notlage als auch die gesunkene Systemrelevanz von G-SIB stehen auch im Einklang mit der erhöhten Prozyklizität großer Banken, die vor der Krise ein stärkeres Wachstum aufwiesen. Die Quantifizierung der inkrementellen Auswirkungen der Reformen ist ein aussichtsreicher Zweig für künftige Forschung.

In einem weiteren Artikel wird untersucht, wie sich die Zusammensetzung von Gegenparteien der Banken in den letzten Jahren verändert hat. In "Non-bank counterparties in international banking", nehmen Pablo García Luna und Bryan Hardy eine neu veröffentlichte Aufschlüsselung von Daten in den Bankgeschäftsstatistiken der BIZ unter die Lupe. Die Große Finanzkrise hat Lücken in Bezug auf verfügbare Daten zur Überwachung und Eindämmung von Risiken für die Finanzstabilität aufgedeckt. Als Reaktion darauf wurden größere Anstrengungen unternommen, um detailliertere Sektorinformationen über die Gegenparteien der Banken in die Bankgeschäftsstatistiken der BIZ einzubeziehen.

Die Autoren des Artikels analysieren die Berücksichtigung der verbesserten Daten und erläutern einige daraus gewonnenen Erkenntnisse. Im Einklang mit der zunehmenden Verlagerung von Finanzgeschäften von Banken hin zu Nichtbankfinanzunternehmen zeigen die Daten, dass Transaktionen mit institutionellen Anlegern, Hedge-Fonds und Zweckgesellschaften einen zunehmend großen Anteil an der internationalen Tätigkeit von Banken ausmachen. Diese Institutionen sind nicht nur große Schuldner, die Bankkredite in Anspruch nehmen, sondern auch wichtige Quellen grenzüberschreitender Finanzierungen. Auch private Haushalte sind eine wichtige Refinanzierungsquelle für Banken. Grenzüberschreitende Einlagen privater Haushalte sind hauptsächlich auf nicht gebietsansässige Staatsbürger zurückzuführen, die in ihrem Herkunftsland Einlagen bei Banken tätigen.

Ein dritter Artikel befasst sich mit dem wachsenden Markt für "grüne Anleihen". Die Emission von "grünen Anleihen" ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, und die Emittentenzusammensetzung ähnelt inzwischen derjenigen von klassischen Anleihen. In "Green bonds: the reserve management perspective" erörtern Ingo Fender, Mike McMorrow, Vahe Sahakyan und Omar Zulaica, wie Reservemanager von Zentralbanken ökologische Nachhaltigkeitsziele in ihren Portfolios berücksichtigen können. Sie kommen zu dem Schluss, dass der Sicherheits- und der Renditeaspekt von "grünen Anleihen" förderlich für deren Aufnahme in Reserveportfolios sind. Gleichzeitig schränken die geringere Liquidität und die kleine Größe des Marktes für "grüne Anleihen" deren Eignung als Währungsreserve ein. Hinzu kommt, dass die Zentralbanken sich immer stärker für Maßnahmen zur Eindämmung klimabezogener Risiken im globalen Finanzsystem einsetzen.

In "Financial conditions and purchasing managers' indices: exploring the links" untersuchen Burcu Erik, Marco Lombardi, Dubravko Mihaljek und Hyun Song Shin, wie Finanzvariablen für Nowcast-Prognosen von PMI verwendet werden können. PMI sind zuverlässige gleichlaufende Indikatoren der Realwirtschaft. Anfang 2018 beispielsweise deuteten PMI auf schwächere Exportaufträge und einen Rückgang der Industrieproduktion hin, und zwar lange bevor eine Abschwächung der globalen Wirtschaftstätigkeit in den traditionellen makroökonomischen Indikatoren in der ersten Jahreshälfte 2019 erkennbar wurde.

Änderungen von PMI korrelieren eng mit Aktienindizes und Spreads von Unternehmensanleihen. Dies überrascht nicht, denn in die Aktienkurse fließen zukunftsgerichtete Informationen über künftige Wirtschaftstätigkeit und Rentabilität sowie zu laufenden Finanzierungsbedingungen ein. Erstaunlicher ist vielmehr, dass PMI auch mit der Stärke des US-Dollars korrelieren. Diese Korrelation steht im Widerspruch zu einer Aussage basierend auf der Wettbewerbsfähigkeit, d. h, wenn der Dollar stark ist, sind PMI außerhalb der USA schwach. Dies widerspricht der Ansicht, dass ein starker Dollar die Aktivitäten durch Gewinne an Wettbewerbsfähigkeit stimulieren sollte. Dies legt eine Rolle des US-Dollars als Indikator globaler Finanzierungsbedingungen nahe und stellt eine nützliche theoretische Verbindung zur internationalen makroökonomischen Literatur dar.