Die Dynamik aufrechterhalten

Ansprache von Agustín Carstens, Generaldirektor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich anlässlich der ordentlichen Generalversammlung der Bank, Basel, 24. Juni 2018.

BIS speech  | 
24. Juni 2018

Sehr geehrte Damen und Herren
Ich freue mich, Sie hier zu begrüßen und Ihnen den neuen BIZ-Wirtschaftsbericht vorzustellen. Die ersten drei Kapitel untersuchen weltweite Entwicklungen, Aussichten und Risiken. Im Vordergrund stehen dabei Geldpolitik, Reformen zur Finanzsektorregulierung, Märkte und Finanzintermediäre. Zwei Sonderkapitel des Wirtschaftsberichts behandeln aktuelle Themen: makroprudenzielle Handlungsrahmen und Krypto­währungen.

In meiner heutigen Ansprache werde ich mich auf die ersten drei Kapitel des Wirtschaftsberichts konzentrieren. Dabei blicke ich auf das seit der Großen Finanzkrise vergangene Jahrzehnt zurück und auf die positiven Ergebnisse der umgesetzten Reformen und der außerordentlichen makroökonomischen Maßnahmen. Zudem werde ich auf die Notwendigkeit hinweisen, angesichts einer Fülle von Unsicher­heiten und Risiken die Wachstumsdynamik aufrechtzuerhalten. Nach meinen Ausführungen werde ich das Wort an Claudio Borio, den Leiter der Währungs- und Wirtschaftsabteilung, und an Hyun Shin, den Volkswirtschaftlichen Berater und Leiter der Wirtschaftsforschung, übergeben. Sie werden auf die beiden Sonderkapitel des Wirtschaftsberichts näher eingehen.

Die Weltwirtschaft ist stärker geworden ...

Seit der letzten BIZ-Generalversammlung hat sich der Wirtschaftsaufschwung gefestigt und ausgeweitet. Die globalen Wachstumsraten lagen nahe an ihren langfristigen Durchschnittswerten, die vor der Großen Finanzkrise verzeichnet worden waren, und der Aufschwung gewann überall gleichzeitig an Dynamik. Der private Sektor war die treibende Kraft des Wirtschaftswachstums, doch in einigen Ländern förderte auch eine expansive Fiskalpolitik das Wachstum. Die Arbeitslosigkeit ging weiter zurück und war teilweise so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Insgesamt näherten sich die Gesamtinflationsraten den Zielwerten der Zentralbanken an, wenn auch die Kerninflation meist gedämpfter ausfiel. Die generell günstigen Finanzierungsbedingungen unterstützten den Wirtschaftsaufschwung. Dass sich das Wachstum im ersten Quartal 2018 verlangsamte, wird mehrheitlich als vorübergehende Abschwächung gewertet.

Die kurzfristigen Aussichten sind weitgehend positiv. Die Prognosen gehen von einem
- gemessen an den Nachkrisenwerten - anhaltend starken Wachstum aus. Es wird erwartet, dass die Arbeitslosenquote weiter sinkt und Werte erreicht, die Vollbeschäftigung signalisieren könnten. Die Investitionstätigkeit dürfte anziehen und mit der Zeit für einen Produktivitätszuwachs sorgen. Die Finanzierungsbedingungen unterstützen im Allgemeinen das Wachstum, auch wenn sie kürzlich insbesondere in aufstrebenden Volkswirtschaften etwas weniger locker waren. Obwohl in einigen Ländern der Druck zur Haushaltskonsolidierung zunimmt, wird eine expansive Fiskalpolitik in einer Reihe anderer Länder auf kurze Sicht für zusätzliche Impulse sorgen.

Zehn Jahre sind nun seit der Großen Finanzkrise vergangen, und ich denke, dass die Zentralbanken mit dem Zustand, in dem sich die Weltwirtschaft heute präsentiert, zufrieden sein dürfen. Zu einem Großteil ist dies der Lohn für die wirtschaftspolitischen und unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen der letzten zehn Jahre. Die gemeinsamen Anstrengungen der Zentralbanken und ihre expansive Geldpolitik haben eine Wiederholung der Großen Depression verhindert. In den vergangenen zehn Jahren waren historisch niedrige und sogar negative Zinssätze sowie außerordentlich umfangreiche Zentralbankbilanzen wichtige Stützen der Weltwirtschaft. Sie haben auch dafür gesorgt, dass sich die Inflationsraten Schritt für Schritt den Zielwerten annähern. Zudem haben wichtige Reformen das Finanzsystem widerstandsfähiger gemacht, darunter die jetzt fertig ausgearbeiteten Basel-III-Regelungen - ein Paradebeispiel für globale Zusammenarbeit.

Doch als Zentralbanker sollten wir nie selbstgefällig sein. Zu unserer Arbeit gehört es auch, gewissenhaft Schwachstellen ausfindig zu machen und entsprechend zu handeln. Zentralbanken mussten den Großteil der wirtschaftlichen Erholung sicherstellen, während die Unterstützung aus anderen Politikbereichen, insbesondere angebotsseitiger struktureller Maßnahmen, ausblieb. Dies hat jedoch dazu geführt, dass sich die privaten und öffentlichen Bilanzen aufgebläht und die Schulden zugenommen haben - zwei Entwicklungen, die uns weiter begleiten werden. Jetzt, wo die Weltwirtschaft allmählich an die Grenzen ihres Potenzials stößt oder sie sogar überschritten hat, gilt es, die Gunst der Stunde zu nutzen. Es ist an der Zeit, für einen ausgewogeneren Maßnahmen-Mix zu sorgen, um ein nachhaltiges Wachstum der Wirtschaft zu ermöglichen. Dies ist allerdings keine leichte Aufgabe.

... doch die Zukunft birgt Risiken

Auf kurze Sicht gibt es weltweit nur geringe Schwachstellen - wenn man einmal von den finanziellen Anspannungen in einigen aufstrebenden Volkswirtschaften absieht. Doch auf mittlere Sicht gibt es erhebliche Risiken. Die Analyse im Wirtschaftsbericht weist auf Unsicherheiten hin, die die Wachstums­dynamik gefährden könnten. Lassen Sie mich einige Risiken näher erläutern.

Die Finanzierungsbedingungen waren in den letzten Jahren insgesamt äußerst locker, trotz der fortschreitenden geldpolitischen Normalisierung und des kräftigen Wachstums der Weltwirtschaft. Die Laufzeitprämien sind nach wie vor ungewöhnlich niedrig, und die Renditenaufschläge sind beträchtlich zurückgegangen: Häufig erreichen oder unterschreiten sie die vor der Großen Finanzkrise verzeichneten Werte. In Ländern, die von der Krise weitgehend verschont blieben und in denen sich die Kreditvergabe an den privaten Sektor jahrelang ausweitete, gibt es Anzeichen für finanzielle Ungleichgewichte. Viele Preise von Vermögenswerten sind erheblich gestiegen, insbesondere die Aktienkurse in einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Auch die Wohnimmobilienpreise sind in zahlreichen Ländern hoch, und entsprechend stark verschuldet sind die privaten Haushalte. All dies ist zum Teil die Folge der unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen des vergangenen Jahrzehnts. 2017 hat der Wertverlust des Dollars weltweit für lockerere Finanzierungsbedingungen gesorgt, insbesondere in den aufstrebenden Volkswirtschaften. Wie im Wirtschaftsbericht dargelegt, haben diese lockeren Finanzierungsbedingungen zu bedeutenden Schwachstellen beigetragen. In der Vergangenheit haben solche Schwachstellen zu einer Reihe von Problemen geführt, nicht zuletzt zu Rezessionen.

Tatsächlich hat die jüngste Verschärfung der Finanzierungsbedingungen, einschließlich der noch sehr langsamen und weitgehend antizipierten Dollaraufwertung, bereits für einige Anspannungen gesorgt. Dies trifft insbesondere auf die anfälligsten aufstrebenden Volkswirtschaften zu, allen voran Argentinien und die Türkei, aber - in geringerem Maße - auch auf andere Länder. Zwar lässt sich noch nicht sagen, ob die Anspannungen begrenzt bleiben oder sich weiter ausbreiten werden, doch verzeichnen aufstrebende Volkswirtschaften bereits Abflüsse von Portfolioinvestitionen.

Wie im Wirtschaftsbericht ebenfalls zu lesen ist, haben sich die Bilanzen der meisten Banken deutlich verbessert, und die Anpassungen an die neuen Regelungen von Basel III sind nahezu vollzogen. Doch nicht überall wurden gleich große Fortschritte erzielt. In einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften, die von der Krise betroffen waren, haben sich die Banken nicht immer vollständig erholt und ihre Geschäftsmodelle noch nicht vollumfänglich an die neuen Gegebenheiten angepasst. Infolgedessen liegt die Marktbewertung einiger Banken nach wie vor unter dem Buchwert, und die Ratings fallen teilweise niedriger aus, wenn die Banken auf Einzelinstitutsebene beurteilt werden. Dies bedeutet, dass das Marktvertrauen schon bei einem relativ kleinen Schock schwinden könnte. Darüber hinaus haben in einigen fortgeschrittenen Volkswirtschaften Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen die Renditenaufschläge auf Staatsanleihen hochschnellen lassen - mit weitreichenden Folgen für die Bankbewertungen und die Finanzmärkte ganz allgemein.

Angesichts dieser und anderer Anfälligkeiten könnten mehrere Entwicklungen den gegen­wärtigen Wirtschaftsaufschwung gefährden. Zunächst könnten verschärfte protektionistische Maßnahmen einen Wirtschaftsabschwung auslösen, indem sie das offene, multilaterale Handelssystem zum Wanken bringen, das weltweit den Grundstein für einen höheren Lebensstandard gelegt hat. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass die zunehmenden protektionistischen Tendenzen die Investitionstätigkeit bereits gebremst haben.

Eine weitere Entwicklung, die den Wirtschaftsaufschwung gefährden könnte, wäre ein plötzlicher Anstieg der historisch niedrigen Renditen an den wichtigsten Staatsanleihemärkten. Kredite werden inzwischen zunehmend auch durch Nichtbanken vermittelt, beispielsweise durch Kapitalanlage­gesellschaften. Dadurch werden die Interaktionen der Wirtschaftsakteure komplexer, mit Folgen für die Vermögenspreise und die Finanzstabilität, die womöglich schwerer zu antizipieren sind. Wie sich zu Beginn dieses Jahres gezeigt hat, können bereits kleine Ereignisse, beispielsweise eine leicht überraschende Inflationsentwicklung, die überbewerteten Finanzmärkte in Unruhe versetzen. Zudem ist die Kapitalanlage­branche globaler geworden, sodass Turbulenzen rasch auf andere Länder übergreifen können.

Auch ein globaler Rückgang der Risikobereitschaft könnte den Wirtschaftsaufschwung gefährden. Auslöser könnten dabei Bedenken hinsichtlich der Tragbarkeit der Staatsverschuldung in bestimmten Volkswirtschaften sein, wie dies kürzlich in den Euro-Peripherieländern zu beobachten war. Im Gegensatz zu einem plötzlichen Renditeanstieg könnte die geringere Risikobereitschaft statt zu einer Ausweitung zu einem weiteren Rückgang der Laufzeitprämien an jenen Staatsanleihemärkten führen, die von einer Flucht in sichere Anlagen profitiert haben.

Viele dieser Risiken sind vor dem Hintergrund zu betrachten, dass sich einige Volkswirtschaften am Wendepunkt ihres Finanzzyklus befinden und sich die Gesamtverschuldung sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor nach der Krise weiter erhöht hat: Finanzzyklen, die ihren Höhepunkt überschreiten, bergen womöglich Risiken, beispielsweise das einer Rezession. Und eine hohe Staats­verschuldung schränkt natürlich die Fiskalpolitik ein.

Außerdem ist der Wirtschaftsaufschwung nach wie vor von außerordentlichen geldpolitischen Maßnahmen abhängig. Den Zentralbanken dürfte es jedoch zunehmend schwerfallen, gleichzeitig für Finanz- und Preisstabilität zu sorgen. Ihr Handlungsspielraum ist deutlich kleiner als vor der Großen Finanzkrise. Die Zinssätze sind viel niedriger und die Zentralbankbilanzen viel umfangreicher, was Lockerungsmaßnahmen erschwert. Dies trifft mit Einschränkungen und in unterschiedlichem Maße sowohl auf fortgeschrittene als auch auf aufstrebende Volkswirtschaften zu. Letztere können sich bei ihren Maßnahmen meist kaum Fehler leisten.

Herausforderungen für die Politik

Die Politik sollte gegenwärtig die Schaffung von Rahmenbedingungen fördern, die eine weitere Verschärfung von Risiken verhindern, nachhaltiges Wachstum fördern und die Wirtschaft bei der Anpassung an technologische und andere strukturelle Veränderungen unterstützen. Dies erfordert Maßnahmen, die langfristig ausgerichtet sind und bestehende Verflechtungen berücksichtigen.

Die Fiskalpolitik muss die öffentlichen Finanzen auf eine solide Basis stellen. Verglichen mit der Zeit vor der Finanzkrise hat die Verschuldung des öffentlichen Sektors in Relation zum BIP weiter zugenommen und den fiskalpolitischen Spielraum massiv verkleinert. Hier weist der Wirtschaftsbericht auch auf die Gefahr eines höheren Schuldendienstes hin, wenn die Zinsen steigen. Unter gebührender Berücksichtigung länderspezifischer Faktoren ist die Haushaltskonsolidierung auf mittlere Sicht eine vorrangige Aufgabe in den meisten Volkswirtschaften.

Im Bereich der Finanzaufsicht und -regulierung ist es neben der Umsetzung der vereinbarten Regelungen weiterhin unerlässlich, die Reformbestrebungen fortzusetzen und zu intensivieren. In diesem Zusammenhang gilt es, die Widerstandsfähigkeit der Bankensysteme weiter zu stärken und dafür zu sorgen, dass die Bilanzen saniert und die Geschäftsmodelle angepasst werden. Ganz wichtig ist es auch, die Risiken im Nichtbankensektor zu erfassen und zu verringern, beispielsweise in Bezug auf Liquiditäts­inkongruenzen und Interaktionen, die sich negativ auswirken können.

Strukturpolitische Maßnahmen sind im vergangenen Jahrzehnt oftmals ausgeblieben. Strukturreformen sollten es Volkswirtschaften erleichtern, Schocks zu verkraften, und einen weiteren Aufbau von Ungleichgewichten verhindern. Zudem müssen sie Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Konsumenten dazu anhalten, sich an die laufenden strukturellen Veränderungen anzupassen, die häufig eine Folge des technischen Fortschritts sind. Im gegenwärtigen politischen Umfeld ist die Bewahrung der offenen Handelsordnung eine der größten Herausforderungen. Doch nichts ist heute so wichtig wie die Verteidigung eines Handelssystems, das der ganzen Welt enorme Dienste erwiesen hat.

Auch geldpolitische Maßnahmen spielen auf längere Sicht eine zentrale Rolle. Um Handlungsspielraum zurückzugewinnen, ist in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften die Normalisierung der Geldpolitik unabdingbar. Ziel sollte dabei sein, die Anfälligkeit gegenüber langsam entstehenden Bedrohungen zu verringern. Dies bedeutet, dass auf einen sich abzeichnenden neuerlichen Inflations­anstieg reagiert werden sollte, eine Überreaktion aber zu vermeiden ist, wenn die Inflation leicht unter ihrer Zielgröße bleibt oder an den Finanzmärkten vorübergehend hohe Volatilität herrscht. Auf diese Weise entstünde Spielraum für antizyklische Maßnahmen, die Gefahr finanzieller Schwachstellen würde gemindert, und der Schuldenaufbau würde gebremst. In einigen aufstrebenden Volkswirtschaften könnte ein restriktiverer geldpolitischer Kurs eher früher als später nötig sein, da die Anleger in Erwartung verschärfter globaler Finanzierungsbedingungen ihre Portfolios anpassen dürften. In diesen Ländern wird die Einführung eines stimmigen makrofinanziellen Stabilitätskonzepts von grundlegender Bedeutung sein.

Wie in einem Sonderkapitel des Wirtschaftsberichts beschrieben, und darauf geht Claudio Borio gleich näher ein, ist die Bedeutung makroprudenzieller Handlungsrahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit inzwischen allgemein anerkannt. Damit sich die Vorteile dieser Erkenntnis voll entfalten können, muss die explizite makroprudenzielle Ausrichtung der Regulierungs- und Aufsichts­politik in einem breiter angelegten, ganzheitlicheren makrofinanziellen Stabilitätskonzept verankert werden, das auch geld-, fiskal- und strukturpolitische Maßnahmen umfasst. Nur ein solch ausgewogenes Stabilitätskonzept kann einen Beitrag zu größerer finanzieller und gesamtwirtschaftlicher Stabilität leisten und für nachhaltiges Wirtschaftswachstum sorgen.

Bei all dem ist es wichtig, die rasanten Veränderungen im Finanzdienstleistungssektor im Auge zu behalten, die der technische Fortschritt mit sich bringt. Wie im Wirtschaftsbericht dargelegt, geht es hier nicht nur um Fintech-Unternehmen, sondern auch um - die womöglich noch wichtigeren - Bigtechs und ihre wachsende Bedeutung als Anbieter von Finanzdienstleistungen. Bigtechs könnten die Bewertungen traditioneller Anbieter massiv einbrechen lassen und deren Existenz gefährden. Noch sind nur erste Anzeichen erkennbar, aber es könnte durchaus ein Paradigmenwechsel bevorstehen.

Der technische Fortschritt bringt zwar viele Vorteile und sorgt unter anderem für mehr Effizienz bei Finanzdienstleistungen. Doch er stellt auch eine potenzielle Gefahr für das bestehende Währungs- und Finanzsystem dar. Neue Risiken entstehen beispielsweise durch das Aufkommen von Kryptowährungen. Vertrauen in etablierte Institutionen wie Geschäfts- und Zentralbanken könne, so versprechen es Kryptowährungen, durch Vertrauen in neue, vollständig dezentralisierte Systeme ersetzt werden. Das zweite Sonderkapitel des Wirtschaftsberichts blickt hinter den aktuellen Hype um Kryptowährungen und legt dar, dass die heutigen Kryptowährungen dieses Versprechen nicht einlösen können. Sie eignen sich nicht als Zahlungsmittel, lassen viel Raum für betrügerische Machenschaften und sind eine enorme Umweltbelastung. Wie das Sonderkapitel festhält und Hyun Shin näher ausführen wird, haben Krypto­währungen zahlreiche weitere ökonomische Schwächen. Sie sind nur beschränkt in der Lage, den ureigensten Zweck von Geld als Koordinationsinstrument zu erfüllen und die Finalität der Zahlungen zu gewährleisten.

Das Aufkommen von Kryptowährungen verlangt nach einem weltweit koordinierten Vorgehen, um Missbräuchen vorzubeugen und Verflechtungen mit regulierten Finanzinstituten strikt zu begrenzen. Es sollte verhindert werden, dass Kryptowährungen die Rolle der Zentralbanken als vertrauenswürdige Hüter der Währungs- und Finanzstabilität untergraben. Die dezentralisierte Technologie von Krypto­währungen ist ungeachtet ihrer technischen Raffinesse und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten keine zweckmäßige Alternative zu institutionell durch unabhängige und rechenschaftspflichtige Zentralbanken abgesichertem Geld.

Vier Punkte auf der wirtschaftspolitischen Tagesordnung

Zum Schluss möchte ich vier Ziele für die Wirtschaftspolitik nennen. Erstens gilt es, die Fortschritte der letzten zehn Jahre zu bewahren. Zweitens muss die Normalisierung der Geldpolitik weitergeführt werden, und zwar graduell, mit umsichtiger Kommunikation und unter Berücksichtigung ihrer länderüber­greifenden Auswirkungen. Drittens sollten langfristige Auswirkungen und das Begrenzen wachsender Ungleichgewichte im Vordergrund stehen, wenn ein ganzheitliches makrofinanzielles Stabilitätskonzept gestaltet und eingeführt wird. Viertens schließlich muss in strukturpolitischer Hinsicht viel mehr getan werden. Reformen müssen umgesetzt werden, um die Widerstandsfähigkeit der Weltwirtschaft zu stärken und das Wachstumspotenzial anzuheben.

Kurz gesagt: Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen. Die Bekämpfung von Schwachstellen ist entscheidend, um die Wachstumsdynamik aufrechtzuerhalten. Der Wirtschaftsaufschwung ist die Gelegenheit, um nötige Reformen durchzuführen und wirtschaftspolitische Maßnahmen neu auszurichten. Wir sollten diese Gelegenheit auf keinen Fall verpassen.