Agustín Carstens speaks about inflation, insolvencies and green finance

Interview (only available in German) with Mr Agustín Carstens, General Manager of the BIS, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, conducted by Mr Gerald Braunberger and Mr Markus Frűhauf and published on 29 December 2020.

BIS speech  | 
31 December 2020

Herr Carstens, wird nach der Corona-Krise die Inflation wieder zu einem Thema für Zentralbanken?

Kurzfristig, also in den nächsten 18 bis 24 Monaten wird das wichtigste Thema eher sein, wie sich die Inflation in die Nähe der von den wichtigsten Zentralbanken verfolgten Zielniveaus bringen lässt. Zwar ist die geldpolitische Unterstützung in der Corona-Krise außergewöhnlich groß, jedoch lässt die aktuelle Lage der Weltwirtschaft kurzfristig viel höhere Inflationsraten unwahrscheinlich erscheinen. Es ist zwar im dritten Quartal zu einer Konjunkturerholung gekommen, die sich im vierten Quartal aber als nicht sehr robust herausgestellt hat. Es ist noch nicht zu erkennen, wie sich dies in nachhaltiges Wachstum übertragen kann. Es gibt in einigen Ländern Fortschritte am Arbeitsmarkt, auch wenn die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten weiterhin sehr hoch ist. Zudem machen es die Kurzarbeiterprogramme in einigen anderen Ländern schwer, die tatsächliche Lage an den Arbeitsmärkten einzuschätzen. Solange es keinen Lohnsteigerungsdruck und Anzeichen der Überhitzung an den Arbeitsmärkten gibt, ist kurzfristig ein zunehmender Inflationsdruck kaum vorstellbar.

Ist die Lohnentwicklung für die Inflation entscheidender als die Geldpolitik?

Die Löhne sind nicht unabhängig von den geldpolitischen Bedingungen., Sie werden natürlich stark von den Inflationserwartungen beeinflusst. Gleichzeitig hängen die Löhne vor allem von der Arbeitsnachfrage ab, die wiederum von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und damit von der Geldpolitik beeinflusst wird. Die Inflationserwartungen spielen weiterhin eine entscheidende Rolle. Die Inflationserwartungen sind in den vergangenen Jahren unter die Zielraten von 2 Prozent gerutscht.  Dies erklärt zum Teil die sehr akkommodierende Ausrichtung der Geldpolitik, die in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften verfolgt worden ist. Die zusätzliche Liquidität, die Zentralbanken in der Pandemie bereit stellen, hat an den Finanzmärkten bislang keine Inflationssorgen in ausgelöst.   

Der Chefvolkswirt der BIZ, Claudio Borio, hat kürzlich gesagt, dass die Leute in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft blicken, wenn sie ihre Inflationserwartungen bilden. Wird es dann für Zentralbanken nicht schwerer, die Inflationserwartungen zu steuern?

Die Zentralbanken wirken mit ihrer aggressiven Geldpolitik als auch mit expliziter Erwartungssteuerung hinsichtlich des zukünftigen geldpolitischen Kurses einer auch in Zukunft so außergewöhnlich niedrigen Inflationsrate entgegen. Die damit erzeugte Erwartung einer wieder anziehenden Teuerung hilft dabei, die Inflation dann wieder in die Nähe der Zielrate von 2 Prozent bringen. Aus diesem Grund ist die amerikanische Notenbank dazu übergegangen, nicht mehr nur die exakte Zielrate anzupeilen, sondern nur noch eine durchschnittliche Inflationsrate. Das schließt auch die Möglichkeit einer Teuerung von etwas von mehr als 2 Prozent über einen bestimmten Zeitraum mit ein.

Kennen wir die langfristigen Folgen sehr großer Zentralbankbilanzen?

Es gibt zwei Gründe für das Wachstum der Zentralbankbilanzen, die ein wichtiges zusätzliches Instrument im geldpolitischen Werkzeugkasten darstellen. Erstens, eine sehr aggressive Geldpolitik, die zum Ziel hatte, die Zinsen auf der gesamten Kurve deutlich zu senken mit Hilfe von großangelegten Staatsanleihekäufen. Zweitens, mussten mit Beginn der Corona-Krise die Zentralbanken riskante Vermögenswerte aufkaufen, um die Finanzmärkte so zu entlasten, dass sie besser funktionieren können. Dieses Ziel ist in meinen Augen erreicht worden. Die geldpolitischen Maßnahmen dienen zusammen mit der Fiskalpolitik dem Ziel, Wirtschaftswachstum zu schaffen, auch in der Zeit nach der Pandemie. Ist das der Fall und sind die Märkte dann wieder aufnahmebereit und nimmt die Kreditvergabe zu, dann können die Zentralbanken langsam damit anfangen, ihre Bilanzen wieder abzubauen. Es ist natürlich alles eine Frage der Größenordnungen. Aber wir sind noch sehr weit von der Grenze entfernt, ab der die Wirtschaft nicht mehr bereit wäre, zusätzliches Geld zu akzeptieren. 

Gefährdet die expansive Geldpolitik in der Corona-Krise die Unabhängigkeit der Zentralbanken? Der Begriff der "fiscal dominance", also die Dominanz der staatlichen Haushaltspolitik über die Notenbanken, macht die Runde?

Die zentrale Frage lautet hier, ob die Zentralbanken im Rahmen ihres Mandats handeln. Ihr wichtigstes Ziel ist die Inflationskontrolle. Ich sehe derzeit keine Gefahr, dass die Zentralbanken von ihrem Ziel der Preisstabilität abweichen. Manche Notenbanken mögen am Anfang der Corona-Krise aggressiver im Kauf von Staatsanleihen vorgegangen sein, aber da war es auch dringend nötig, in der Pandemie die staatlichen Ausgaben deutlich zu erhöhen, um die Wirtschaft zu unterstützen. Das Vorgehen der Zentralbanken entspricht ganz klar ihrem Mandat und hat nichts mit "fiscal dominance" zu tun. Vielmehr muss die Geldpolitik die Fiskalpolitik angesichts eines solchen außergewöhnlichen Schocks dabei unterstützen, die Wirtschaft zu stabilisieren.  

Trägt die Geldpolitik zu einer "Zombifizierung" der Wirtschaft bei?

Grundsätzlich können sehr niedrige Zinsen nahe null Prozent das Leben angeschlagener Unternehmen verlängern, weil sich ihre Kosten zur Bedienung der Schulden verringern. Ich sehe als Ursache der Zombifizierung aber eher die Neigung einiger Geschäftsbanken, eine angemessene Einstufung notleidender Kredite und damit Verluste zu vermeiden. Niedrige Zinsen als Folge der Geldpolitik können eine solche Entwicklung zwar begünstigen, aber ich betrachte die Zombifizierung nicht als Problem, das durch wirtschaftspolitische Maßnahmen verursacht wird.

In ihrem jüngsten Quartalsbericht hat die BIZ auf die wachsende Diskrepanz zwischen den Bewertungen an den Finanzmärkten und den wirtschaftlichen Aussichten hingewiesen. Sind die Finanzmärkte wieder übermütig?

Es gibt Anlageklassen, die gegenwärtig als überbewertet erscheinen können. Die hohe Menge an zusätzlicher Liquidität verbunden mit der Jagd nach Rendite treibt die Kurse an den Märkten. Es gibt das Risiko falscher Bewertungen. Wir sind in unseren Analysen zu der Einschätzung gekommen, dass es sich nicht um ein weitverbreitetes Phänomen handelt. Auch wenn es Bereiche gibt, bei denen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden näher hinschauen sollten, besteht insgesamt kein Risiko für die Finanzstabilität.

In welchen Anlageklassen sehen Sie mögliche Überbewertungen?

Ich sehe nicht meine Aufgabe darin, die Bewertungen von Wertpapieren zu kommentieren. Allerdings haben sich zum Beispiel die Risikoaufschläge der High-Yield-Anleihen von Unternehmen mit geringer Kreditwürdigkeit in den vergangenen Monaten deutlich verringert und liegen in einigen Fällen unter den Niveaus vor der Pandemie. Doch die Corona-Krise ist noch nicht vorbei und die weiteren Wachstumsaussichten unsicher. Das kann ein Beispiel sein, wie die Jagd nach Rendite die Bewertung riskanter Vermögenswerte beeinflusst.      

In Europa gab es zuletzt eine Diskussion darüber, ob die Notenbanken ihre erworbenen Staatsanleihen vollständig abschreiben sollen, um so die Staaten von ihren Schulden zu entlasten.

Das ist eine sehr schlechte Idee, und es ist schlechte Ökonomie. Verdeckte Quersubventionierung zwischen den Mitgliedsländern widerspricht den Grundsätzen und dem Geist der europäischen Währungsunion. Es kann zudem ein Loch in die Staatshaushalte reißen, wenn die Abschreibungen auf Staatsanleihen das Kapital der Notenbanken schwächen und sie rekapitalisiert werden müssen. Eine solche Maßnahme wäre auch unter dem Gesichtspunkt des moralischen Risikos - des moral hazard - gefährlich. Wir haben solche Politik in der Vergangenheit in anderen Regionen der Welt erlebt und sie hat nie gut geendet.

Wie hoch sind die Risiken für den Finanzsektor in dem kommenden Monaten aufgrund steigender Unternehmensinsolvenzen?

Wir könnten im kommenden Jahr durchaus mehr Unternehmensinsolvenzen sehen. Die expansive Geld- und Fiskalpolitik in Reaktion auf die Corona-Krise hat wahrscheinlich viele Unternehmen am Leben erhalten. Die Fiskalpolitik sollte sich stärker auf die Unternehmen konzentrieren, die solvent sind und eine Zukunft haben. Wenn die massiven Stützungsmaßnahmen begrenzt werden, besteht die Gefahr, dass einige Unternehmen nicht überleben können. Wir erwarten im kommenden Jahr einen Anstieg der Insolvenzen von 20 Prozent gegenüber dem Niveau in normalen Zyklen. Das liegt an dem Ausmaß der Pandemie und ihren Auswirkungen auf die Wirtschaft, aber vor allem daran, dass die Stützungsmaßnahmen so nicht für immer fortgesetzt werden können.

Was bedeutet das für die Banken und die Finanzstabilität?

Die Banken sind in diese Krise in einer starken Verfassung gegangen, weil sie nach der Finanzkrise ihre Eigenkapitalausstattung und -puffer deutlich erhöhen mussten. Die Vorgaben der Basel-III-Regeln haben ihre Widerstandsfähigkeit deutlich erhöht. Sie können also einen Anstieg der notleidenden Kredite überstehen. Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir kein Risiko für die Finanzstabilität.

Gibt es Bereiche, die Anlass zur Sorge geben?

Die Anspannungen an einigen Märkten im Frühjahr wie zum Beispiel denen für Geldmarktpapiere, kreditbesicherte Wertpapiere, Unternehmensanleihen und auch Staatsanleihen waren Ergebnis von Problemen bei Nicht-Bank-Finanzintermediären. Dazu zählen Geldmarktfonds, offene Anleihefonds und auch Hedgefonds. Bei dem Versuch, Anlagepositionen in großem Umfang abzubauen, haben diese Akteure wichtige Marktsegmente vorübergehend paralysiert, was umfangreiche Stützungsmaßnahmen der Notenbanken erforderlich machte. Notenbanken und Aufsichtsbehörden müssen die Widerstandsfähigkeit dieser Marktteilnehmer genauer in den Blick nehmen. Die Probleme konnten schnell gelöst werden, aber wir müssen nun analysieren, wie diese Märkte in Zukunft besser funktionieren können, ohne dass die Notenbanken eingreifen müssen.

Wie gefährlich ist der "grüne Schwan"?

Klima- und Umweltrisiken sind ein sehr wichtiges Thema. Sie können größere Probleme und Verluste für den Finanzsektor hervorrufen. Eine schnellere Sequenz an Wirbelstürmen oder Überschwemmungen in bestimmten Regionen können Unternehmen und Haushalte deutlich in ihren Möglichkeiten einschränken, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Darüber müssen wir nachdenken und das Bewusstsein der Finanzinstitute dafür wecken.

Sollen Banken Eigenkapitalerleichterungen für grüne Finanzierungen erhalten?

Nein, nachhaltige Kredite müssen nicht subventioniert werden. Wenn ein Projekt als sehr nachhaltig eingeschätzt wird, dann weist es in der Regel eine höhere Kreditwürdigkeit auf. Das verringert das Ausfallrisiko, was den Banken eine niedrigere Eigenkapitalunterlegung ermöglicht. Aber grundsätzlich alle unter dem Label "green" laufenden Kredite mit Eigenkapitalerleichterungen zu versehen, stünde nicht im Einklang mit einer umsichtigen und vernünftigen Kreditpolitik und Regulierung.  

Ist der Finanzmarkt der richtige Ort für Klima- und Umweltschutz?

Das ist zwar nicht seine wichtigste Aufgabe, aber der Finanzsektor spielt eine entscheidende Rolle für die meisten Wirtschaftsbereiche. Wenn er einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, ohne dass dabei seine Funktionsweise beeinträchtigt wird, dann soll er diesen Beitrag leisten.

Wann können wir als Kunden mit digitalem Zentralbankgeld zahlen?

Das wird noch einige Jahre dauern. In China, das hier am weitesten fortgeschritten ist, kann es schon sehr bald sein. Doch in den meisten anderen Ländern wird es noch dauern. Es besteht keine dringende Eile, digitales Zentralbankgeld anzubieten weil wir heutzutage bereits sehr effiziente Zahlungssysteme haben. In Zukunft kann es aber Bedarf für digitales Geld geben. Darauf bereiten wir uns vor. Wir müssen aber in der Entwicklung und in der Umsetzung sehr vorsichtig vorgehen, weil wir uns hier keine Fehler erlauben dürfen. Es gibt auch Unterschiede zwischen einzelnen Ländern und auch in der Frage, ob digitales Zentralbankgeld für Großzahlungssysteme von Geschäftsbanken oder zur Nutzung durch Verbraucher verwendet werden soll. Meiner Meinung nach ist der Nutzen der letzteren Option, die Einlagenkonten der Verbraucher bei der Zentralbank implizieren kann, begrenzt. Das Zurücklegen der letzten Meile bei der Versorgung der breiten Öffentlichkeit mit Zahlungsdienstleistungen  muss vorrangig Aufgabe der Geschäftsbanken bleiben.

Brauchen Verbraucher angesichts der Echtzeit-Überweisungssysteme wirklich digitales Zentralbankgeld?

Noch gibt es keine Nachfrage dafür. Es gibt aber Entwicklungen von Internetkonzernen wie Facebook zu "Stablecoins", also digitalen Zahlungsmitteln, die mit Währungen unterlegt werden. Dadurch stellen sich Fragen, die das Mandat und die zentrale Rolle der Notenbanken berühren. Als Reaktion auf diese Entwicklungen könnte sich in Zukunft ein Bedarf für digitales Zentralbankgeld auch für Verbraucher ergeben. Wie ich kürzlich bei einer Rede vor Bundesbankmitarbeitern gesagt habe, sicheres und vertrauenswürdiges Geld wird nicht von Algorithmen geschaffen. Es wird auch in Zukunft auf glaubwürdigen und vertrauenswürdigen Institutionen, nämlich den Zentralbanken, basieren.

Sind die Bemühungen der Zentralbanken eine Reaktion auf die Libra-Pläne von Facebook?

Es gab Signale dafür, dass Zentralbanken sich diesen Entwicklungen stellen müssen. Das war der Bitcoin, der Aufbau von Zahlungssystemen durch große Technologiekonzerne und schließlich auch die Pläne von Facebook.

Können "Stablecoins", wenn sie richtig reguliert werden, akzeptiert werden?

Ja, das setzt aber auch eine tatsächliche Stabilität der "Stablecoins" voraus Das wird versucht dadurch zu erreichen, indem sie mit gesetzlichen Zahlungsmitteln unterlegt werden. Ich würde daher eher von einem synthetischen digitalen Zentralbankgeld sprechen, allerdings ohne den Rückhalt einer Zentralbank. Unter bestimmten Bedingungen und mit sinnvoller Regulierung könnten Stablecoins eine Option sein die funktioniert.

Kann die Einführung von digitalem Zentralbankgeld das Geschäftsbankensystem zerstören?

Ich halte es da mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der an den Eid des Hippokrates erinnert hat, mit dem sich Ärzte im Wesentlichen verpflichten, keinen Schaden zuzufügen. Ähnlich müssen sich die Zentralbanken dazu verpflichten, alles zu unterlassen, was der Finanzstabilität und der Wirtschaft schaden kann.

Wie wichtig ist Bargeld für das Vertrauen in Geld?

Es ist von entscheidender Bedeutung. Die meisten Menschen verbinden Geld mit Banknoten und Münzen. Und das liegt an ihren Erfahrungen mit Bargeld, mit denen sie sich jederzeit Güter kaufen können. Es ist für die Zentralbanken eine enormer Erfolg gewesen, dass dieses System über Jahrzehnte so gut funktioniert hat.  Dieses Vertrauen der Bevölkerung ist über viele Jahre aufgebaut worden. Es wäre alles andere als klug, dies zu gefährden. Vielmehr muss es erhalten werden.