Kapitalabflüsse aus China über die an die BIZ berichtenden Banken

BIS Quarterly Review  |  September 2015  | 
13. September 2015

(Auszug S. 19-21 des Kapitels "Wichtigste Erkenntnisse zum weltweiten Finanzgeschäft" des BIZ-Quartalsberichts vom September 2015) 

Kapitalabflüsse aus China sind Gegenstand ausführlicher Debatten. Dabei konzentrieren sich viele Analysen auf einen scheinbaren Rückgang der staatlichen Währungsreserven. Misst man jedoch die Kapitalabflüsse anhand der Abnahme von Währungsreserven, werden die Bewertungseffekte vernachlässigt, die durch die Entwicklung des US-Dollar/Euro-Kurses entstehen. Überdies können Währungsreserven dazu verwendet werden, Dollaranlagen in z.B. neuen multilateralen Entwicklungsbanken zu finanzieren.1  

Die standortbezogene internationale Bankgeschäftsstatistik der BIZ zeigt allerdings, dass im ersten Quartal 2015 netto $ 109 Mrd. von Banken in China zu Banken ausserhalb Chinas abflossen. Dies führte zu Abwärtsdruck auf den Renminbi und - wegen des strikten Währungsmanagements - auf die Währungsreserven. In diesem Kasten wird aufgezeigt, wie die schwindende Attraktivität von Long-Positionen in Renminbi zu dem Nettoabfluss sowohl in Fremdwährungen als auch in Renminbi im ersten Quartal führte. Diese Ergebnisse geben auch Aufschluss darüber, was im dritten Quartal 2015 geschehen könnte, in dem China seine Wechselkurspolitik geändert hat.

Im ersten Quartal schwanden die Anreize, Long-Positionen in Renminbi und Short-Positionen in Dollar zu halten. Erstens setzten die chinesischen Behörden den Lockerungszyklus fort, der im November 2014 begonnen hatte, und senkten die administrierten Einlagenzinssätze. Und zweitens wurde zugelassen, dass sich der Renminbi gegenüber dem Dollar von unter 6,2 pro Dollar auf über 6,25 Mitte März abwertete. Infolgedessen nahm die durch Optionen implizierte Wechselkursvolatilität zu. Kurz, das Zinsgefälle wurde kleiner, und die Kosten für die Absicherung gegen weitere Abwertungen stiegen, was Renminbi-Long-Positionen weniger attraktiv machte.

Zur Veranschaulichung sei ein stilisiertes multinationales Unternehmen aus China genommen, dessen Bilanz teils in China, teils ausserhalb anfällt.2 In China nimmt das Unternehmen Kredit auf und tätigt Einlagen sowohl in Renminbi als auch in Fremdwährungen. Seine Fremdwährungsschulden in China übersteigen seine dortigen Fremdwährungseinlagen. Ausserhalb Chinas sind seine Fremdwährungsschulden ebenfalls höher als seine Fremdwährungseinlagen, seine Renminbi-Einlagen hingegen höher als seine Renminbi-Schulden.

Will das multinationale Unternehmen auf die geringeren Anreize reagieren und seine Renminbi-Long-Position/Fremdwährungs-Short-Position verkleinern, muss es seine Netto-Fremdwährungsverbindlichkeiten verringern und gleichzeitig Renminbi-Einlagen abbauen. Das kann es in China selbst tun. Die People's Bank of China (PBoC) meldet, dass die Fremdwährungseinlagen bei Banken in China im ersten Quartal 2015 um $ 83 Mrd. zunahmen, während sich das Wachstum ihrer Fremdwährungskredite auf nur noch $ 34 Mrd. verlangsamte.3 Somit könnte das multinationale Unternehmen seine Nettoverschuldung in Fremdwährung durch den Aufbau von Fremdwährungseinlagen in China verringert haben. Banken in China verzeichneten denn auch einen Nettozufluss von Fremdwährungen in Höhe von $ 49 Mrd. Wenn Banken in China ihrerseits ihre überschüssigen Fremdwährungs­mittel bei Banken in der übrigen Welt platzierten, würden die an die BIZ berichtenden Banken einen entsprechenden Anstieg der Verbindlichkeiten gegenüber Banken in China verzeichnen. Und tatsächlich erhöhten sich die Verbindlichkeiten der an die BIZ berichtenden Banken gegenüber Banken in China im ersten Quartal um $ 46 Mrd.

Das Unternehmen könnte jedoch auch seine Positionen ausserhalb Chinas anpassen. Beispielsweise könnte die Treasury-Abteilung Renminbi-Einlagen bei einer ausländischen Bank reduzieren. In der Tat sanken die bei Banken in Hongkong SVR, Chinesisch-Taipeh, Singapur und Korea insgesamt gehaltenen Renminbi-Einlagen im ersten Quartal 2015 um $ 10 Mrd. (Grafik A). Die Treasury-Abteilung könnte aber auch strukturierte Notes liquidieren, die sich auf den Renminbi-/Dollarkurs beziehen und bei denen die Gegenpartei-Bank Renminbi als Absicherung gegen Schwankungen des Wechselkurswerts der Notes halten muss. Eine solche Liquidierung hätte keine Auswirkungen auf die Nichtbanken-Einlagendaten. Aber glücklicherweise meldet die PBoC nun die gesamten Renminbi-Einlagen der übrigen Welt bei Banken in China.4 Gemäss der PBoC sanken diese Einlagen um $ 57 Mrd., was sowohl auf den Rückgang der Renminbi-Einlagen um $ 10 Mrd. als auch auf eine geringere Nachfrage von Banken nach Renminbi - ob im Zusammenhang mit Kundengeschäften oder der Anlage ihrer eigenen Mittel - zurückzuführen wäre. Was immer die Ursache, dieser Renminbi-Abfluss von $ 57 Mrd. macht den Grossteil des Forderungsrückgangs von $ 63 Mrd. gegenüber Banken in China aus, den die BIZ-Berichtsbanken verzeichneten.

Wenn das stilisierte multinationale Unternehmen also Fremdwährungseinlagen in China anhäuft ($ 49 Mrd.) und seine Renminbi-Long-Positionen ausserhalb Chinas reduziert ($ 57 Mrd.), könnte dies per saldo zu Nettoabflüssen von fast $ 109 Mrd. aus Banken in China führen. Dass der Abfluss zu einem grossen Teil auf Renminbi lautete, bedeutet einen Fortschritt bei der grenzüberschreitenden Verwendung von Renminbi, zeigt aber auch, dass diese Verwendung von günstigen Zinsdifferenzen und Wechselkurserwartungen abhängt.

Natürlich ist die Realität komplexer und lässt sich nicht auf einen einzigen Akteur reduzieren, der seine Renminbi/Dollar-Positionen beidseits der Landesgrenze anpasst. Tatsächlich nahmen Nichtbanken in China im Berichtsquartal bei an die BIZ berichtenden Banken weitere $ 7 Mrd. auf. Dies zählt als Kapitalzufluss, sodass der Nettoabfluss von Banken und Nichtbanken in China im ersten Quartal 2015 $ 102 Mrd. betrug. Überdies sind auch andere Akteure, wie z.B. KMU in der SVR Hongkong und in Chinesisch-Taipeh, Renminbi-Long-Positionen und Dollar-Short-Positionen eingegangen und könnten sie im ersten Quartal 2015 ebenfalls glattgestellt haben.5  

Die Daten für das zweite Quartal deuten auf eine teilweise Umkehr dieser Entwicklungen hin, vor dem Hintergrund einer Stabilisierung des Renminbi/Dollar-Wechselkurses. In China stiegen die Fremdwährungsverbind­lichkeiten netto um $ 19 Mrd. Die Daten der PBoC zeigen, dass die Renminbi-Einlagen der übrigen Welt in China wieder um $ 15 Mrd. zugenommen haben. Dies würde zum Teil eine Erholung der Einlagen im Ausland um $ 10 Mrd. im zweiten Quartal widerspiegeln (Grafik A rechts).


Im dritten Quartal schwanden die Anreize erneut, Renminbi-Long-Positionen und Dollar-Short-Positionen zu halten. Eine weitere Senkung der Einlagenzinssätze verkleinerte den Renditenvorteil des Renminbi, und eine Reform der Renminbi-Steuerung erhöhte seine Volatilität. Damit verschlechterte sich das Risiko-Ertrags-Verhältnis und machte das Halten solcher Positionen unattraktiver.

Tatsächlich geben die Renditen erste Hinweise darauf, dass Offshore-Renminbi-Einlagen liquidiert wurden (Grafik B). Am 25. August, als die jüngsten Turbulenzen an den Aktien- und Devisenmärkten ihren Höhepunkt erreichten (siehe "Schwächen in aufstrebenden Volkswirtschaften rücken in den Vordergrund", BIZ-Quartalsbericht, September 2015), kletterten die Interbankzinssätze für Offshore-Renminbi (CNH) in Hongkong auf Rekordhöhen von 10,1% für die Laufzeit von 1 Woche und 8,6% für 1 Monat, was Berichten über Renminbi-Verkäufe Nachdruck verlieh. Die August-Daten zu Fremdwährungseinlagen und -krediten bei chinesischen Banken sowie zu Einlagen im Ausland werden erste Aufschlüsse über die Reaktionen auf das veränderte Risiko-Ertrags-Profil von Renminbi-Long-Positionen geben.


1 H. Zhu, "China: the myth of capital outflows", JPMorgan Chase, Asia-Pacific Economic Research, 28. Juli 2015, berechnet einen bereinigten Rückgang der chinesischen Währungsreserven um $ 15 Mrd. im Zeitraum Juni 2014-Juni 2015.    

2 V. Bruno und H. S. Shin, "Global dollar credit and carry trades: a firm-level analysis", BIS Working Papers, Nr. 510, August 2015.    

3 Siehe PBoC, "Financial statistics, Q1 2015".   

4 Platzierung entweder durch von der PBoC angegebene Clearingbanken bei der Zentralbank oder durch ausländische Banken bei Banken in China. Eine Liste der Clearingbanken findet sich in W. Nixon, E. Hatzvi und M. Wright, "The offshore renminbi market and renminbi internationalization", in: L. Song, R. Garnaut, C. Fang und L. Johnston (Hrsg.), China's domestic transformation in a global context, ANU Press, 2015, S. 276.    

5 W. Gu und A. Trivedi, "Yuan's devaluation brings losses for some", The Wall Street Journal, 18. August 2015.