Negative Realrenditen auf inflationsgeschützte US-Schatzanleihen (TIPS)

(Auszug der Seiten 6-7 vom BIS Quarterly Review, Dezember 2010)

Am 25. Oktober 2010 begab das US-Finanzministerium erstmals inflationsgeschützte Schatzanleihen (Treasury Inflation-Protected Securities, TIPS)1 mit einer negativen Realrendite. TIPS sind Schatzanleihen, bei denen eine Kuponzahlung auf einen Kapitalbetrag erfolgt, der auf die Verbraucherpreise der USA indexiert ist. Der bei Fälligkeit der Anleihe ausgezahlte Kapitalbetrag entschädigt die Anleger für Erhöhungen des VPI seit der Emission der Anleihe. Bei der jüngsten Auktion erwarben Anleger 4½-jährige TIPS im Gesamtwert von $ 10 Mrd., wobei für einen Nennbetrag von $ 100,00 und einen Kupon von 0,50% $ 105,51 gezahlt wurden. Bei dieser Preisgestaltung ergab sich eine jährliche Realrendite von -0,55% bei Halten bis Fälligkeit, d.h. die Investoren rechneten damit, auf ihre Anlage in realer Betrachtung jedes Jahr mehr als ½% Verlust zu machen.2 Warum gingen sie auf dieses Geschäft ein?

Die hohen Preise, die bei der Auktion gezahlt wurden, entsprachen dem aktuellen Preisniveau am TIPS-Markt, wo die Realrenditen - vor allem bei den kurz- und mittelfristigen Schatzanleihen - bereits deutlich unter die Nullmarke gefallen waren (Grafik A links). Die realen Renditen waren schon über weite Strecken des Jahres 2010 parallel zu den Nominalrenditen gesunken, doch der Rückgang beschleunigte sich nach der Rede des Federal-Reserve-Vorsitzenden Bernanke in Jackson Hole am 27. August. Die Anleger werteten diese als Signal, dass die Federal Reserve weitere Ankäufe von Schatzanleihen plane. In den folgenden zwei Monaten brachen die realen Renditen stärker ein als die nominalen, sodass die 5-jährigen Realrenditen schliesslich unter die Nullmarke fielen.

Die sinkenden Realrenditen spiegelten in erster Linie eine steigende Inflationsentschädigung (erwartete Inflation und Inflationsrisikoprämie) der Anleger im September und Oktober wider (Grafik A Mitte), entsprechend zunehmenden Erwartungen einer geldpolitischen Lockerung in den USA. Da die Erwartung, die Federal Reserve werde erneute Anleihekäufe vornehmen, spürbar auf die Nominalrenditen drückte, musste den höheren Inflationserwartungen bzw. Inflationsrisikoprämien durch einen weiteren Abfall der Realrenditen Rechnung getragen werden.3

Es gibt wenig Indizien dafür, dass der Anstieg der Breakeven-Inflationsraten mit anleihemarktspezifischen Faktoren (beispielsweise Überlegungen im Zusammenhang mit der Liquidität von Anleihen) zusammenhing. Die Inflationsswapsätze erhöhten sich im September und Oktober weitgehend parallel zu den Breakeven-Raten am Anleihemarkt.4 Diese beiden Breakeven-Messgrössen hätten sich wahrscheinlich weniger synchron entwickelt, wenn der Anstieg stattdessen auf eine geänderte Einschätzung der Anleger hinsichtlich der relativen Liquidität der Märkte für Nominalanleihen bzw. für indexierte Anleihen zurückzuführen gewesen wäre. Dasselbe gilt für die Möglichkeit, dass die Breakeven-Rate für Staatsanleihen durch Erwartungen, die Federal Reserve werde an den Anleihemärkten intervenieren, „verzerrt" worden sein könnte.

Die negativen Realrenditen standen auch mit der Preisbildung bei den Nominalanleihen im Einklang. So entwickelte sich ein grober Indikator der erwarteten Realrendite 5-jähriger nominaler US-Schatzanleihen - der sich aus der Nominalrendite abzüglich des 5-jährigen Inflationsswapsatzes berechnet - im Wesentlichen parallel zur realen TIPS-Rendite und war am Tag der obenerwähnten Auktion ebenfalls deutlich negativ (Grafik A rechts).5 Auch dies weist darauf hin, dass das Preisniveau der TIPS zu jener Zeit nicht „ungewöhnlich" war.

Die negativen Realrenditen spiegelten ausserdem Erwartungen der Marktteilnehmer wider, dass die künftigen kurzfristigen Realrenditen einige Zeit negativ bleiben würden. Der Erwartungshypothese der Zinsstruktur zufolge spiegelt die Rendite einer US-Schatzanleihe den durchschnittlichen kurzfristigen Zinssatz über die Laufzeit der Anleihe zuzüglich einer Laufzeitprämie wider. Dies gilt sowohl für nominale als auch für reale Anleiherenditen. Da die Federal Reserve weiterhin ihre Absicht signalisiert, den nominalen Tagesgeldzielsatz noch längere Zeit nahe null zu belassen, werden die kurzfristigen Realzinsen negativ bleiben, solange positive Inflationsraten verzeichnet werden. Ohne Berücksichtigung der Laufzeitprämien dürften die TIPS-Renditen daher über Laufzeithorizonte, in denen im Durchschnitt negative kurzfristige Realrenditen erwartet werden, ebenfalls negativ ausfallen.

Ein weiterer Faktor, der das Preisniveau von TIPS erhöht und somit die reale Rendite dämpft, ist die Tatsache, dass diese Anleihen optionsähnliche Merkmale aufweisen, die in Zeiten hoher Unsicherheit hinsichtlich der künftigen Inflationsentwicklung von grossem Wert sind. Erstens bieten TIPS - im Gegensatz zu nominalen Anleihen - dem Anleger eine Absicherung gegen unerwartete Inflationsentwicklungen. Hinzu kommt, dass dieser Inflationsschutz asymmetrisch ausgestaltet ist. Investoren werden zwar durch die Indexierung des Kapitalbetrags an den VPI für eine höhere Inflation entschädigt, im Falle einer Deflation wird der Kapitalbetrag jedoch nicht reduziert.6 Somit profitieren TIPS-Anleger im Falle einer Deflation genauso wie Halter nominaler Anleihen, haben aber den zusätzlichen Vorteil der Absicherung gegen eine steigende Teuerung.7 Anders ausgedrückt haben TIPS eine eingebaute Inflationsoption mit Nullinflation als Ausübungspreis. Wie alle Optionen ist diese besonders wertvoll, wenn sie „am Geld" (d.h. nahe am Ausübungspreis) ist und wenn am Markt hohe Unsicherheit (Volatilität) herrscht. Dies ist in den USA gegenwärtig der Fall, was den Wert der TIPS weiter steigert und ihre Renditen somit zusätzlich dämpft.8 Daher haben die Anleger eine negative Realrendite in Kauf genommen, um ihren Kapitalbetrag gegen Inflation zu schützen und gleichzeitig die Option zu wahren, von einer möglichen Deflation zu profitieren.


1 Diese Instrumente werden manchmal auch als „Treasury Inflation-Indexed Securities" (TIIS) bezeichnet.
2 Es sei denn, der VPI in den USA würde während der Laufzeit der Anleihe fallen (s. unten).
3 Die Anleger gingen weithin davon aus, dass die Ankäufe der Federal Reserve fast ausschliesslich nominale Schatzanleihen betreffen würden.
4 Bei (Nullkupon-)Inflationsswaps wird gegen einen vorher festgelegten Preis eine Zahlung in Höhe des VPI-Anstiegs, der auf den Nominalbetrag des Swaps über dessen Laufzeit aufläuft, geleistet.
5 Am 25. Oktober, dem Datum der TIPS-Auktion, lag die 5-jährige Nominalrendite bei 1,18%, während sich der 5-jährige Inflationsswapsatz (ein grober Indikator der erwarteten Inflation über die kommenden fünf Jahre) auf 1,91% belief, sodass sich für die Nominalanleihe eine erwartete reale Rendite von etwa -0,73% ergab.
6 Dies ergibt sich aus der Ausgestaltung der Anleihebedingungen. Das US-Finanzministerium zahlt bei Fälligkeit entweder den Nominalbetrag oder den inflationsbereinigten Kapitalbetrag aus, d.h. den höheren der beiden Beträge.
7 Im Falle einer Deflation während der Laufzeit der Anleihen haben TIPS-Anleger gegenüber den Haltern nominaler Anleihen den leichten Nachteil, dass sich die Deflationsuntergrenze nur auf den Kapitalbetrag, nicht aber auf die Kuponzahlungen bezieht. Die Kupons von TIPS berechnen sich nach dem inflationsbereinigten Kapitalbetrag, auch wenn die Inflation negativ ausfällt.
8 Diese Option ist besonders für neu emittierte TIPS von Wert, auf die noch nicht viel Inflation aufgelaufen ist und deren Kapitalbetrag daher nahe am Nominalwert ist. Daher sind die Renditen solcher Anleihen tendenziell niedriger als die älterer Anleihen mit ähnlicher Restlaufzeit.