Rücknahme bilanzpolitischer Massnahmen der Zentralbanken

BIS Quarterly Review  | 
14. September 2009

(Auszug der Seiten 6-7 vom BIS Quarterly Review, September 2009)

Da die Marktbedingungen wieder besser werden, wird nun die Frage diskutiert, wann und wie die Zentralbanken die Geldpolitik straffen werden und ob in diesem Zusammenhang die Vermögenswerte veräussert werden, die während der Krise in grossem Umfang angekauft wurden, um die Märkte funktionsfähig zu halten und die Vermögenspreise zu beeinflussen („Bilanzpolitik"). Grundsätzlich können diese Beschlüsse unabhängig voneinander gefasst werden. In Kapitel VI des 79. Jahresberichts der BIZ wird darauf hingewiesen, dass Zentralbanken die Leitzinssätze erhöhen und Überschussreserven abschöpfen können, ohne ihre Bilanz zu verkleinern, sofern sie über ein geeignetes Instrumentarium verfügen.

In diesem Kasten steht im Vordergrund, was für die eine oder andere Reihenfolge dieser beiden Beschlüsse spricht. Es gibt zwei Extremfälle: Entweder wird die Bilanz reduziert, und erst dann werden die Zinssätze erhöht, oder die Zinssätze werden erhöht, ohne dass die Bilanz verkleinert wird. Diese Fälle können in der Grafik zu Bilanz (indexiert auf 100 beim Höhepunkt der Bilanzpolitik auf der x-Achse) und Leitzinssatz (beginnend mit null auf der y-Achse) dargestellt werden als Bewegung nach links und dann nach oben bzw. als Bewegung direkt nach oben. Zu bedenken ist, dass der Abbau von Aktiva unterschiedliche Folgen haben kann (und dass auch eine veränderte Zusammensetzung der Aktiva sowie ihr Umfang eine Rolle spielen können).

Ein Beispiel für den einen Extremfall bietet die Bank of Japan (BoJ), die im Jahr 2006 ihre Bilanz reduzierte, bevor sie die Leitzinssätze erhöhte. Da sie nicht befugt ist, Überschussreserven zu verzinsen, stellte die BoJ in den Monaten nach März 2006 die Erneuerung fällig werdender Forderungen ein.1 Die „Kontokorrentkonten" bzw. die Zentralbankeinlagen der Banken sanken von JPY 31 Bio. Ende März 2006 auf rund JPY 10 Bio. Mitte Juni; die gesamten Aktiva der BoJ gingen sogar noch stärker zurück, nämlich von JPY 145 Bio. auf JPY 113 Bio. am 20. Juni. Diese Bilanzreduktion sowie die gleichzeitige Wiedereröffnung der Interbankkreditlinien und die Einführung des Handels mit Tagesgeldterminsätzen bereiteten die Marktteilnehmer auf die Erhöhung des kurzfristigen Zinssatzes vor, die im Juli erfolgte. Grafik A zeigt auf der x-Achse zunächst eine Bewegung nach links bei Zinssätzen von null und danach eine Rückkehr zu positiven Zinssätzen. Für eine derartige Reduktion der Aktivseite der Bilanz war eine sorgfältige Begrenzung der Bestände langfristiger Anleihen2 und der Laufzeit der Geldmarktgeschäfte ausschlaggebend. Interessanterweise erwarb die BoJ nach diesem Abbau von Überschussreserven und der Rückkehr zu positiven Zinssätzen weiterhin jeden Monat Anleihen.

Dass die BoJ den Schwerpunkt auf die Passivseite ihrer Bilanz legte, schränkt möglicherweise die Vorbildfunktion ihres Vorgehens für einen Rückzug aus einer Situation niedriger Zinssätze und umfangreicher Aktiva ein. Welche Vermögenswerte konkret erworben wurden, um die Verbindlichkeiten der BoJ zu stützen, wurde als unerheblich betrachtet, und die Wahl kurzfristiger Vermögenswerte ermöglichte einen raschen, aber passiven Abbau. Die Bank of England und die Federal Reserve, die Anleihen ankauften, um die langfristigen Zinssätze nach unten zu drücken, und die Schweizerische Nationalbank, die Devisen kaufte, um den Schweizer Franken niedrig zu halten, befinden sich in einer anderen Lage als seinerzeit die BoJ.

In den aktuellen Fällen wird die Wahl des Rückzugspfades von verschiedenen Erwägungen abhängen: bezüglich der Leistungsfähigkeit der Märkte, der Marktpreise und -reaktionen sowie des Abbaus etwaiger kurzfristiger Aktiva. Andere, weniger beachtete Konzepte der Bilanzpolitik, z.B. ein Bestands- bzw. Stromgrössenkonzept, können den gewählten Weg ebenfalls beeinflussen. Gemäss der auf Bestandsgrössen beruhenden These gehen monetäre Impulse vom Halten von Vermögenswerten wie Staats- oder sonstigen Anleihen durch die Zentralbank aus. Nach der Stromgrössenthese ergeben sich monetäre Impulse aus dem Ankauf von Vermögenswerten durch die Zentralbank, sodass die Impulse aufhören, wenn keine weiteren Ankäufe angekündigt werden und Asymmetrie erwünscht ist: maximale Wirkung bei Käufen und „Neutralität" bei Verkäufen.

Diese Unterscheidung könnte wichtig werden, wenn die Zeit für eine Straffung der Geldpolitik gekommen ist. Aus der Sicht der Bestandsgrössenthese hiesse eine Erhöhung des kurzfristigen Zinssatzes ohne gleichzeitigen Verkauf von Anleihebeständen, mit einem Fuss auf das Bremspedal zu treten und den anderen gleichzeitig fest auf dem Gaspedal zu halten. Beim Stromgrössenansatz könnte man das Bremspedal gedrückt halten, ohne dass gleichzeitig noch das Gaspedal betätigt wird. Das Bestandsgrössenkonzept entspräche somit einem Straffungsweg wie Vektor A in der Grafik (oder sogar dem Weg der BoJ), das Stromgrössenkonzept Vektor B in der Grafik.

Die Politik der Bank of England dürfte wohl auf der Bestandsgrössenthese der Bilanzpolitik beruht haben. Insbesondere schloss ihre Begründung für den Ankauf von Staatsanleihen im Umfang von einem Achtel des BIP auch die breit abgegrenzte Geldmenge ein. Die Bank of England hat klargemacht, dass sie zwei Instrumente zur Verfügung hätte, falls das Inflationsziel ein Zurückfahren der monetären Impulse erfordert: Erhöhung des Leitzinssatzes und Verkauf von Vermögenswerten. Liquidität könnte durch Verkauf von Zentralbankwechseln abgeschöpft werden, was es der Bank of England ermöglichen würde, ihre Staatsanleihen gestaffelt abzustossen.3 Die Marktanalysten formulieren daher ihre geldpolitischen Prognosen mit Blick auf die Erhöhung des kurzfristigen Zinssatzes wie auch den Verkauf von Staatsanleihen.

Hingegen tendieren Aussagen der Federal Reserve zu den monetären Impulsen, die von ihren Anleiheankäufen im Umfang von $ 1,75 Bio. ausgehen, eher zu der Stromgrössenthese. Mit Blick auf die Zukunft dürfte die Schwierigkeit, den Bremseffekt von Anleiheverkäufen u.a. hinsichtlich der sich wandelnden Bilanzprobleme von Finanzinstituten und der Risikobereitschaft zu kalibrieren, gegen Anleiheverkäufe sprechen. Dennoch hat die Federal Reserve signalisiert, dass sie sich nicht unbedingt entlang einem vertikalen Vektor wie B zurückziehen wird. Da sie (wie die Bank of England) Zinsen auf Überschussreserven zahlen kann, könnte sie den Ankauf von Anleihen einstellen und die Zinsen erhöhen, ohne ihre Aktiva abzubauen.4 Oder die Überschussreserven könnten ohne Verkäufe von Aktiva absorbiert werden, nämlich mittels kurzfristiger Repo-Geschäfte gegen langfristige Wertpapiere oder mittels Ausweitung des Schatzwechselverkaufs über den Finanzierungsbedarf des US-Finanzministeriums hinaus, wobei der Erlös bei der Federal Reserve hinterlegt würde. Unter den aufgeführten Optionen wurden, wenn auch an letzter Stelle, Anleiheverkäufe genannt.

Die Schweizerische Nationalbank hat bisher wenig Angaben dazu gemacht, wie sie sich aus ihrer Politik des Ankaufs ausländischer Aktiva zur Dämpfung der Aufwertung des Schweizer Frankens zurückziehen will. Einige neuere Untersuchungen zu Devisenmarktinterventionen betonen die Wirkung auf die Auftragsströme, während der Portfolio-Balance-Ansatz die relative Grösse der Bestände in den Vordergrund stellt. Betrachtet man konkrete Beispiele, gibt es Fälle, in denen Zentralbanken ihre Devisenreserven nach einer Reihe von Ankäufen wieder reduzierten; zahlreicher sind jedoch die Fälle wie derjenige Japans im Jahr 2004, in denen die Bestände auf dem Niveau verharrten, das sie infolge der Interventionen erreicht hatten. Die jüngsten Erfahrungen bei der Aufnahme von Dollarmitteln sowohl bei der Federal Reserve als auch am Markt werden in eine etwaige Überprüfung der angemessenen Höhe der schweizerischen Devisenreserven einfliessen.

Neben den erwähnten Faktoren dürften auch politökonomische Erwägungen bei der Wahl des Rückzugspfades eine Rolle spielen. Die Ankäufe von Vermögenswerten durch die Bank of England waren von vornherein in einem Briefwechsel mit dem britischen Schatzamt nach oben begrenzt worden; sie wurden über ein Sonderkonto verbucht und durch eine Garantie der Regierung gegen Verluste infolge eines Zinsanstiegs abgesichert. Diese Vorkehrungen ermöglichen es der Bank of England, Staatsanleihen ohne Verlust für ihr eigenes, begrenztes Kapital zu veräussern, sodass diese Erwägungen vielleicht nicht von Belang sind. Hingegen könnten sie für die Federal Reserve relevant sein, da ihre Forderungsankäufe weniger formell mit dem US-Finanzministerium koordiniert sind, sowohl was die Entgegennahme der Erlöse als auch was die Schuldenverwaltung betrifft.


1 Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, dass die BoJ Zentralbankwechsel begibt, um Liquidität zu absorbieren; so hätte sie zwei Arten von Verbindlichkeiten ausgetauscht und die Aktiva unverändert gelassen.
2 Bank of Japan, Financial Markets Department, „Money market operations in fiscal 2006", BoJ Reports and Research Papers, Juli 2007; zu Anleiheankäufen: „Government debt management at low interest rates", Quartalsbericht, Juni 2009 (nur auf Englisch verfügbar).
3 Ansprache des Stellvertretenden Gouverneurs Bean anlässlich des Cutlers' Feast, Cutlers' Hall, Sheffield, 21. Mai 2009. Am 21. Juli 2009 wurde Bean in der Evening Post von Nottingham wie folgt zitiert: „Wahrscheinlich erhöhen wir zuerst einmal den Diskontsatz. Danach können wir mit dem Verkauf der erworbenen Forderungen zu einem Satz beginnen, der den damaligen Marktbedingungen Rechnung trägt."
4 „Monetary policy as the economy recovers", in: Board of Governors of the Federal Reserve System, 2009, Monetary Policy Report to the Congress (Washington: Board of Governors, Juli), S. 34-37.