Unkonventionelle Geldpolitik in der aktuellen Krise

BIS Quarterly Review  | 
13. Juli 2009

(Auszug der Seiten 6-7 vom BIS Quarterly Review, Juni 2009)

Angesichts der weltweiten Turbulenzen an den Finanzmärkten und des anschliessenden starken Wirtschaftsabschwungs senkten die wichtigsten Zentralbanken die Leitzinsen drastisch und leiteten mehrere Massnahmen ein, die unter dem weiten Begriff „unkonventionelle Geldpolitik" zusammengefasst werden. Dieser Kasten bietet eine Übersicht über diese Massnahmen und zeigt auf, wie sie sich in den allgemeinen Kontext der Umsetzung der Geldpolitik einfügen.

Ein Rahmen für die Überprüfung einer unkonventionellen Geldpolitik

Geldpolitik umfasst zwei Kernelemente: i) die Signalisierung des anvisierten geldpolitischen Kurses - dies geschieht heute in der Regel durch die Ankündigung von Zielvorgaben für die sehr kurzfristigen Zinssätze; ii) die Durchführung von Liquiditätssteuerungsoperationen. Letztere schliessen im weiteren Sinne unterschiedliche Aspekte des geldpolitischen Handlungsrahmens bezüglich der Konditionen ein, zu denen Zentralbankliquidität erhältlich ist, und zielen darauf ab, den gewünschten geldpolitischen Kurs zu stützen, indem sie den relevanten Marktzins nahe am Leitzins halten. Die Ausgestaltung und Umsetzung der Liquiditätssteuerungsgeschäfte erfolgt dabei in aller Regel sehr sorgfältig, um sicherzustellen, dass sie sich nur auf den speziellen Marktzins auswirken, der im Augenmerk der Geldpolitik steht. Somit stellen die Liquiditätssteuerungsgeschäfte unterstützende Massnahmen dar, die weder den grundsätzlichen geldpolitischen Kurs beeinträchtigen noch geldpolitisch relevante Informationen beinhalten.

Unter gewissen Bedingungen erhalten die Liquiditätssteuerungsgeschäfte jedoch eine wichtigere Funktion und werden gezielt dazu eingesetzt, bestimmte Elemente des geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu beeinflussen. Diese ergänzende Strategie besteht im Wesentlichen darin, dass Liquiditätsgeschäfte aktiv eingesetzt werden, um bestimmte Vermögenspreise, Renditen und Finanzierungskonditionen über den Leitzins hinaus zu beeinflussen. In solchen Fällen spielen Liquiditätsoperationen nicht bloss eine passive Rolle, sondern werden zum integralen Bestandteil der allgemeinen geldpolitischen Ausrichtung. Da sich dabei derartige Operationen in der Regel deutlich in den Bilanzen der Zentralbanken niederschlagen und deren Umfang, Zusammensetzung und Risikoprofil beeinflussen, können sie auch als Bilanzpolitik bezeichnet werden.1

Die verschiedenen Arten bilanzpolitischer Massnahmen unterscheiden sich im Hinblick auf die Märkte, auf die sie abzielen. Die häufigste und gängigste Form sind Interventionen am Devisenmarkt. Mit diesen wird versucht, unabhängig vom Leitzins über Devisenkäufe oder -verkäufe Einfluss auf den Wechselkurs zu nehmen. In der gegenwärtigen Krise wurden ausserdem bilanzpolitische Massnahmen ergriffen, die auf die kurzfristigen Geldmarktsätze (mit Laufzeiten bis zu einem Jahr), die Renditen langfristiger Staatsanleihen sowie verschiedene Risikoaufschläge ausgerichtet waren. Im Hinblick auf ihre Rechtfertigung, ihre grundlegende Wirkungsweise, ihre Transmissionskanäle und ihre Implikationen für die Bilanzen unterscheiden sich diese Massnahmen zwar nicht von Devisenmarktinterventionen, doch was die Wahl der Märkte betrifft sind sie untypisch und in einigen Fällen völlig neuartig. „Unkonventionell" an den jüngsten Massnahmen der Zentralbanken ist also ihre Ausrichtung auf bestimmte Märkte und nicht etwa das allgemeine Bestreben, über den Leitzins hinaus bestimmte Elemente des Transmissionsmechanismus zu beeinflussen. In dieser Hinsicht können die Begriffe „quantitative Lockerung" („quantitative easing") und „Kreditlockerung" („credit easing"), mit denen Transaktionen der Bank of Japan von 2001-2006 bzw. der Federal Reserve in der aktuellen Krise beschrieben werden, einfach als Verweise auf eine bestimmte Art der Bilanzpolitik betrachtet werden.2

Die Bilanzpolitik zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich unabhängig vom aktuellen Leitzinsniveau umsetzen lässt. Dies wird z.B. regelmässig bei Devisenmarktinterventionen genutzt. Solange Zentralbanken in der Lage sind, die Auswirkungen auf die Geldmenge durch gegenläufige Geschäfte zu neutralisieren, wird weder eine Ausweitung der Aktiva noch deren Zusammensetzung notwendigerweise die Fähigkeit einer Zentralbank beeinträchtigen, die Zinssätze nahe an der Zielvorgabe zu halten.3 Dies gilt auch im umgekehrten Fall. Das Zurückfahren bilanzpolitischer Massnahmen und die Entlastung der Zentralbankbilanzen sind keine Voraussetzungen für eine Erhöhung der Zinsen. Beispielsweise müssen Zentralbanken, die Zinsen auf Überschussreserven zahlen, bloss diesen Zinssatz zusammen mit dem Leitzins erhöhen, um die geldpolitischen Rahmenbedingungen zu verschärfen. Daher können sich Diskussionen über Ausstiegsstrategien auch an den beiden unterschiedlichen Dimensionen orientieren - der des angemessenen Zinsniveaus einerseits und der der gewünschten Bilanzstruktur der Zentralbank andererseits.

Die Reaktionen der Zentralbanken - ein Überblick

In der aktuellen Krise gab es im Wesentlichen zwei Kategorien bilanzpolitischer Massnahmen (s. Tabelle). Die erste Art von Massnahmen - die vor allem zu Beginn der Krise ergriffen wurden - zielten darauf ab, Anspannungen an den Interbankkapitalmärkten zu mildern. Zur Reduzierung der Laufzeitprämien wurden insbesondere deutlich mehr längerfristige Finanzierungsmittel bereitgestellt und verschiedene Massnahmen eingeleitet, um mögliche Hindernisse für eine reibungslose Verteilung der Reserven zu beseitigen. Dazu gehörten die Erweiterung der notenbankfähigen Sicherheiten und des Kreises der zu Geschäften zugelassenen Gegenparteien, die Verlängerung der Laufzeit von Refinanzierungsgeschäften und die Einrichtung von Swaplinien zwischen Zentralbanken, um den Refinanzierungsdruck an Offshore-Märkten zu lindern (hauptsächlich in Bezug auf US-Dollar-Finanzmittel). Ausserdem begannen viele Zentralbanken mit der Verleihung hochliquider Wertpapiere - in der Regel Staatsanleihen - gegen weniger liquide, am Markt gehandelte Wertpapiere oder lockerten bestehende Bedingungen für eine solche Verleihung mit dem Ziel, die Finanzierungsbedingungen am Geldmarkt zu verbessern.

Die zweite Kategorie geldpolitischer Reaktionen, die mit der Verschärfung der Turbulenzen an den Finanzmärkten an Bedeutung gewann, zielte auf eine direkte Lockerung der strikten Kreditkonditionen im Nichtbankensektor sowie eine Verbesserung der allgemeinen Finanzierungsbedingungen ab. Dies geschah u.a. durch die Bereitstellung von Mitteln an Nichtbanken zur Verbesserung ihrer Liquiditätsausstattung und zur Verringerung der Risikoaufschläge an bestimmten Märkten - z.B. für Commercial Paper, forderungsunterlegte Wertpapiere und Unternehmensanleihen - sowie über den Ankauf von Wertpapieren staatlicher Emittenten mit dem Ziel, auf die Referenzrenditen im Allgemeinen Einfluss zu nehmen.

Insgesamt trugen solche Interventionen der Zentralbanken dazu bei, die schweren Liquiditätsspannungen zu lindern, und gingen mit greifbaren Verbesserungen an verschiedenen Hauptmärkten einher (wie in diesem „Überblick" erwähnt). Ob die Massnahmen der Zentralbanken wirksam sind, um die Folgen der Krise zu mildern und wieder funktionierende Märkte herzustellen, hängt jedoch letztlich davon ab, wie starke Impulse sie dem privaten Kreditgeschäft geben, und somit schliesslich von der angemessenen Gestaltung und konsequenten Umsetzung der Massnahmen, die direkt auf die fundamentalen Schwächen in den Bankbilanzen gerichtet sind.


1 S. Kapitel VI im 79. Jahresbericht der BIZ, Juni 2009.
2 Eine „quantitative Lockerung" verfolgt das Ziel, die monetären Bedingungen insgesamt durch die Ausweitung der Liquiditätsreserven der Banken zu lockern, wobei der entsprechende zu erwerbende Vermögenswert nicht näher bezeichnet wird. Der Schwerpunkt der „Kreditlockerung" wiederum liegt auf der Beeinflussung ganz bestimmter Marktsegmente durch Interventionen in der einschlägigen Vermögenswertkategorie, ohne nähere Angaben dazu, wie solche Geschäfte in den Zentralbankbilanzen refinanziert werden.
3 So ist es zahlreichen asiatischen Zentralbanken, die in den vergangenen Jahren aktiv an den Devisenmärkten interveniert haben, trotz erheblicher Bilanzverlängerungen gelungen, ihre offiziellen Zinsziele zu erreichen..