Entflechtung der verschiedenen Einflussfaktoren bei den jüngsten Verschiebungen der Breakeven-Inflationsraten

BIS Quarterly Review  | 
10. März 2009

(Auszug der Seiten 10-11 vom BIS Quarterly Review, März 2009)

Breakeven-Inflationsraten, d.h. die Renditendifferenzen zwischen nominalen und indexierten Anleihen, schwankten in den letzten Monaten aussergewöhnlich stark; sie sanken auf Rekordtiefs, bevor sie Anfang 2009 wieder etwas anzogen. Beispielsweise sank die 10-jährige Breakeven-Rate für die USA gegen Ende 2008 auf beinahe null, nachdem sie vorher mehrere Jahre lang bei etwa 2,5% verharrt hatte (Grafik A links). Eine ähnliche, wenn auch weniger ausgeprägte Entwicklung war bei den Breakeven-Raten des Euro-Raums zu beobachten (Grafik A Mitte).

Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, inwieweit diese jüngsten Schwankungen als tatsächliche Veränderungen der Inflationserwartungen einzustufen sind. Die Breakeven-Inflationsraten werden seit Langem als Indikator für die Inflationserwartungen der Märkte über den Zeithorizont der Anleihen verwendet. Jedoch spiegelten die grossen Preisausschläge, die während der Finanzkrise an zahlreichen Märkten - einschliesslich derjenigen für nominale und indexierte Anleihen - zu verzeichnen waren, natürlich neben Fundamentalfaktoren auch andere Einflüsse wider. Insgesamt dürften sinkende Inflationserwartungen zwar zum Rückgang der Breakeven-Raten beigetragen haben, doch ein beträchtlicher Teil des Rückgangs war wahrscheinlich anderen Faktoren zuzuschreiben, u.a. der Liquidität und marktspezifischen Einflüssen.

Grundsätzlich können die Breakeven-Inflationsraten in vier Hauptkomponenten aufgegliedert werden: i) erwartete Inflation, ii) Inflationsrisikoprämie, iii) Liquiditätsprämie und iv) marktspezifische Faktoren.1 Die relative Bedeutung dieser Komponenten kann im Zeitverlauf variieren, entsprechend den jeweiligen Rahmenbedingungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten.

Die Rolle der ersten Komponente lässt sich beispielsweise mithilfe anderer Indikatoren der Inflationserwartungen beurteilen, wie Prognosedaten aus Erhebungen. Gemäss dem „Survey of Professional Forecasters" (SPF), der von der Federal Reserve Bank of Philadelphia durchgeführt wird, sanken die Erwartungen bezüglich der US-Inflation auf annualisierter Quartalsbasis von 2,9% im 3. Quartal 2008 auf 0,8% im 1. Quartal 2009; längerfristig, über einen Zeithorizont von 10 Jahren, sanken die erwarteten Inflationsraten im gleichen Zeitraum jedoch nur um 0,1% auf 2,5%. Ebenso gingen die kurzfristigen Inflationserwartungen im Euro-Raum in den letzten Monaten erheblich zurück, doch bei den langfristigen (Zeithorizont fünf Jahre) Inflationserwartungen ergab eine entsprechende Umfrage der EZB ebenfalls einen Rückgang von lediglich 0,1% auf 1,9% im Zeitraum 3. Quartal 2008 bis 1. Quartal 2009. Diese Ergebnisse deuten zwar darauf hin, dass sich die durchschnittlichen Inflationserwartungen für die nächsten Jahre trotz rasch sinkender kurzfristiger Erwartungen kaum verändert haben. Allerdings sind angesichts der massiven Schocks, von denen die Wirtschaft in jüngster Zeit erschüttert wurde, von einigen Beobachtern Zweifel an der Plausibilität anhaltend stabiler durchschnittlicher Inflationserwartungen über einen langen Zeithorizont geäussert worden.

Was die Inflationsrisikoprämie betrifft, deuten jüngste Schätzungen darauf hin, dass diese Komponente im Allgemeinen relativ klein und recht stabil ist.2 Trifft dies zu, dann ist es unwahrscheinlich, dass die Inflationsrisikoprämie bei den beobachteten Veränderungen der Breakeven- Inflationsraten eine grosse Rolle gespielt hat. Dennoch enthalten einige Schätzungen auch Hinweise darauf, dass die Inflationsrisikoprämien positiv mit der Inflationsrate korrelieren. Demzufolge könnte - entsprechend den sinkenden Breakeven-Raten - der kürzliche Inflationsrückgang zu einer niedrigeren Inflationsrisikoprämie geführt haben. Intuitiv scheint es jedoch plausibel, dass die Inflationsrisikoprämie gestiegen sein könnte, da die Inflation volatiler geworden ist und eine gewisse Unsicherheit über die möglichen Preiseffekte der jüngsten geldpolitischen Massnahmen herrscht.

Die (breit definierten) Liquiditätsprämien hingegen haben bei der Entwicklung der Breakeven-Raten aller Wahrscheinlichkeit nach eine bedeutende Rolle gespielt. Während der Marktturbulenzen kam es zu einer massiven Flucht in die Liquidität, die die Nachfrage nach nominalen Staatsanleihen steil ansteigen liess und in diesem Segment zu einer negativen Prämie geführt haben dürfte. Mit anderen Worten: Die nominalen Renditen wurden hierdurch auf ein extrem tiefes Niveau gedrückt, was wiederum zu starkem Abwärtsdruck auf die Breakeven-Raten führte. Da ausserdem die Märkte für inflationsindexierte Anleihen sehr viel weniger liquide sind als die Märkte für nominale Anleihen, haben Anleger in indexierten Anleihen eher Mühe, Positionen an diesen Märkten zu den geltenden Marktkursen rasch zu schliessen. Unter normalen Umständen erzeugt dieser Faktor in der Regel eine relativ kleine Liquiditätsprämie auf inflationsindexierte Anleihen. Im Zuge zunehmender Liquiditätsrisiken erhöhte sich diese Prämie aber wahrscheinlich beträchtlich, und die Aversion gegen dieses Risiko wuchs, als sich die Krise im zweiten Halbjahr 2008 verschärfte. Damit könnte sich ihrerseits die Rendite indexierter Anleihen im Vergleich zur Rendite nominaler Anleihen erhöht haben, was den Abwärtsdruck auf die Breakeven-Raten womöglich noch verstärkt hat.

Mit diesen Liquiditätseffekten eng verknüpft und teilweise kaum von ihnen unterscheidbar sind marktspezifische Faktoren, die bei der jüngsten Entwicklung der Breakeven-Raten anscheinend ebenfalls eine erhebliche Rolle spielten. Ein solcher Faktor ist z.B. der Verkaufsdruck von fremdfinanzierten Anlegern, die ihre Positionen in inflationsindexierten Anleihen unter widrigen Marktbedingungen auflösen mussten; dadurch wiederum stiegen die realen Renditen und sanken die Breakeven-Raten.3

Daten von den Inflationsswapmärkten können über die Bedeutung dieser Effekte Aufschluss geben. Ein Inflationsswap ist ein derivatives Instrument, das einem gewöhnlichen Zinsswap ähnlich ist. Es wird jedoch nicht ein fester Zins gegen einen an einen kurzfristigen Zinssatz gebundenen variablen Zins getauscht, sondern die variable Zahlung ist beim Inflationsswap an eine Inflationsmessgrösse gekoppelt, in der Regel die während der Laufzeit des Swaps aufgelaufene Teuerung. Der feste Teil des Inflationsswaps liefert somit einen direkten Breakeven-„Inflationspreis", der unbeeinflusst ist von etwaigen unterschiedlichen Liquiditätsbedingungen an den Märkten für nominale bzw. inflationsindexierte Anleihen oder von einer Flucht in die Liquidität.4

Nachdem die Differenz zwischen den Preisen für 10-jährige Inflationsswaps und den entsprechenden Breakeven-Raten für Anleihen in den letzten Jahren stabil gewesen war, weitete sie sich gegen Ende 2008 erheblich aus (Grafik A links und Mitte). Dies deutet darauf hin, dass die schon erwähnten Liquiditäts- und marktspezifischen Effekte bei den Breakeven-Raten der Anleihemärkte eine wichtige Rolle spielten. Dennoch gingen auch die Inflationsswapsätze gegen Ende 2008 deutlich zurück. Diese Entwicklung steht in Einklang mit den Erwartungen einer niedrigeren Inflation, ist aber wahrscheinlich auch einer Absicherung von Breakeven-Positionen an den Anleihemärkten zuzuschreiben. Der Rückgang der Breakeven-Raten wurde Anfang 2009 zum Teil wieder wettgemacht, möglicherweise weil sich Anleger die als übermässig gedrückt angesehenen Breakeven-Inflationsniveaus zunutze machen wollten.

Abschliessend lohnt sich vielleicht ein Blick auf die auf eine fernere Zukunft bezogenen Breakeven-Raten. Beispielsweise wird die 5-Jahres-Terminrate in 5 Jahren oft als aussagekräftiger für die langfristigen Inflationserwartungen angesehen als z.B. die 10-jährige Breakeven-Rate, da sie - zumindest im Prinzip - nicht von kurzfristigen Inflationserwartungen beeinflusst sein sollte. Solche Termin-Breakeven-Raten sind in den letzten Monaten sehr viel volatiler geworden, aber insgesamt ist keine eindeutige Veränderung ihres Niveaus festzustellen (Grafik A rechts). Das Ausbleiben einer solchen Veränderung könnte ein Hinweis darauf sein, dass die längerfristigen Inflationserwartungen grosso modo stabil geblieben sind. Dies wiederum stimmt mit der Ansicht überein, dass die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken hinsichtlich ihrer Entschlossenheit, Preisstabilität zu gewährleisten, unter den jüngsten raschen Leitzinssenkungen nicht gelitten hat.


1 Die Breakeven-Inflationsraten können von weiteren Faktoren beeinflusst werden, u.a. saisonalen Faktoren und sogenannten Carry-Effekten. Erstere sind bekannte saisonale Schwankungen der Verbraucherpreise; diese beeinflussen den Preis von Anleihen, die an nicht saisonbereinigte Verbraucherpreisindizes gekoppelt sind. Carry- Effekte beziehen sich auf länger anhaltende Veränderungen der Verbraucherpreise, wie z.B. jene, die mit der Ölpreisentwicklung zusammenhängen. Sie beeinflussen bekanntermassen die aktuelle Inflation, während inflationsindexierte Anleihen an einen Index von mehrere Monate alten Preisen gekoppelt sind. Tendenziell sind diese Effekte jedoch hauptsächlich für kurze Laufzeiten, etwa bis zu zwei Jahren, relevant.
2 S. P. Hördahl, „The inflation risk premium in the term structure of interest rates" (nur in Englisch verfügbar), BIZ-Quartalsbericht, September 2008, S. 23-38, und die darin enthaltenen Verweise.
3 Ein weiterer marktspezifischer Faktor ist der Wert der eingebetteten Deflationsuntergrenze, der sich für zahlreiche inflationsindexierte Anleihen in letzter Zeit erhöht hat, insbesondere für neu emittierte Anleihen, die nahe an der Untergrenze sind. Gestiegene Werte für die Deflationsuntergrenzen bedeuten höhere Preise für die betroffenen indexierten Anleihen, was niedrigere reale Renditen und somit höhere Breakeven-Raten zur Folge hat. Dieser letztgenannte Effekt würde den jüngst beobachteten Rückgang der Breakeven-Raten also nicht erklären. Bei der Berechnung der realen Renditen von Nullkuponanleihen und der Breakeven-Inflationsraten werden überdies kürzlich emittierte indexierte Anleihen ausgeklammert. Daher dürfte die Deflationsuntergrenze bei den Breakeven-Inflationsdaten nur eine unbedeutende Rolle gespielt haben.
4 Das heisst natürlich nicht, dass Inflationsswaps von jeglichen marktspezifischen Faktoren, z.B. auch Absicherungseffekten, unberührt bleiben. Ausserdem sind die Inflationsswapmärkte in der Regel weniger liquide als die Anleihemärkte.