Jüngste Veränderungen der globalen Kreditintermediation und potenzielle Risiken

BIS Quarterly Review  |  September 2014  | 
14. September 2014

(Auszug S. 6-8 des Kapitels "Wichtigste Erkenntnisse aus den internationalen BIZ-Statistiken" des BIZ-Quartalsberichts vom September 2014)

Bei der globalen Kreditintermediation hat eine merkliche Verschiebung vom Bankensektor zum Anleihemarkt stattgefunden. Verantwortlich dafür sind sowohl die verhaltene grenzüberschreitende Bankkreditvergabe in den Jahren 2009-12 als auch das Renditestreben der Anleger in einem Umfeld niedriger Zinsen. Besonders deutlich zeigt sich diese Verschiebung bei Unternehmensanleihen aus aufstrebenden Volkswirtschaften: Dort fällt das ausstehende Volumen von Unternehmensschuldtiteln gemäss der Statistik auf Basis der Nationalität (d.h. des Standorts des Hauptsitzes) höher aus als das Volumen gemäss traditionellen Zeitreihen auf Basis des Sitzlands (Grafik A links). Dies deutet auf einen umfangreichen Offshore-Absatz hin, der in den konventionellen Statistiken zum internationalen Schuldtitelabsatz nicht erfasst wird. Einzelheiten zu den Eigenschaften und Engagements der Kreditnehmer finden sich bei Chui et al. (2014).1

Die durchschnittliche Laufzeit neu emittierter internationaler Unternehmensschuldtitel aus aufstrebenden Volkswirtschaften ist immer länger geworden. Grafik A (Mitte und rechts) zeigt den Betrag und die durchschnittliche Fälligkeit des Bruttoabsatzes internationaler Schuldtitel durch Nichtbankunternehmen in aufstrebenden Volkswirtschaften.2 Die Grösse der Kreise symbolisiert den Betrag in US-Dollar, und ihre Höhe auf der Y-Achse gibt die durchschnittliche, mit dem Emissionsvolumen gewichtete Fälligkeit an. Die Grafik veranschaulicht, dass sich das Emissionsvolumen in den letzten Jahren erhöht hat (grössere Kreise) und die Laufzeiten - insbesondere bei Betrachtung nach Sitzland - länger geworden sind. Anhand der Statistik auf Basis des Sitzlands beträgt die durchschnittliche Restlaufzeit der umlaufenden Schuldtitel (ohne Geldmarktinstrumente) inzwischen mehr als 8 Jahre.

Längere Laufzeiten mindern das Refinanzierungsrisiko des Kreditnehmers, erhöhen im Gegenzug aber die Reagibilität der Anleihekurse auf Renditenänderungen und somit das Durationsrisiko des Kreditgebers. Zwar operieren viele Anleiheinvestoren, darunter auch institutionelle Anleger, nur mit wenig oder ohne Fremdfinanzierung, sie könnten sich aber verhalten, als wären sie fremdfinanziert, wenn sie an Risikolimits gebunden sind, relative Performance-Kennzahlen als Referenzwert verwenden oder eine dynamische Absicherung gegen Verluste aus Optionsverkäufen oder anderen ertragssteigernden Praktiken betreiben. Wenn Marktstörungen durch die Reaktionen der Anleger verschärft werden, kann durch längere Laufzeiten neues Risikopotenzial im Hinblick auf die Verfügbarkeit und Kosten von Finanzierungsmitteln entstehen. Näheres dazu s. Miyajima und Shim (2014).3

Aus den gegenwärtig verfügbaren Daten zum Absatz internationaler Schuldtitel lassen sich Projektionen zur Tilgung von Nichtbank-Unternehmensschuldtiteln aus aufstrebenden Volkswirtschaften erstellen, wonach die Tilgungen in den Jahren 2017/18 einen Höchstwert erreichen dürften. Bei den internationalen Schuldtiteln entfällt der grösste Anteil der Tilgungen auf US-Dollar-Papiere (Grafik B links und Mitte).

Dies stellt ein potenzielles Risiko dar. Wie Chui et al. (2014) darlegen, werden zwar viele Kreditnehmer aus aufstrebenden Volkswirtschaften, beispielsweise Rohstoffexporteure, in der Lage sein, ihre Kuponzahlungen durch US-Dollar-Zuflüsse auszugleichen.1 Dennoch sichern auch diese Kreditnehmer ihre Kapitalrückzahlungen bei Endfälligkeit möglicherweise nicht vollumfänglich gegen Wechselkursrisiken ab. Wenn Marktstörungen durch Durationsrisiken verschärft werden, könnten längere Laufzeiten eine perverse Wirkung entfalten und Schwierigkeiten bei der Refinanzierung sogar verstärken, falls der Markt für US-Dollar-Schuldtitel aufgrund von Turbulenzen zum Erliegen kommt. Dies war wohlgemerkt der Fall, als im September und Oktober 2008, im Januar 2009 sowie während mehrerer Wochen Mitte 2013 der Zugang zum US-Dollar-Markt für Emittenten aus den aufstrebenden Volkswirtschaften faktisch versperrt blieb.

Internationale Schuldtitel machen rund 20% des gesamten ausstehenden Betrags an Schuldtiteln aus.4,5 Grafik B (rechts) zeigt die voraussichtlichen Tilgungen internationaler Schuldtitel im Vergleich zu den Gesamttilgungen aller Schuldtitel, einschliesslich im Inland emittierter Papiere. Inländische Schuldtitel sind überwiegend in der jeweiligen nationalen Währung denominiert, sodass sich kein unmittelbares Risiko durch Währungsinkongruenzen ergibt. Da sich aber inzwischen auch verstärkt internationale Anleger an den nationalen Schuldtitelmärkten engagieren, sind selbst die Inlandsmärkte womöglich nicht mehr immun gegen Marktstörungen, die durch einen Rückzug globaler Investoren ausgelöst werden.

Solvenz stellt zwar bei nicht fremdfinanzierten Investoren kein besonders grosses Problem dar, doch Kapitalmarktstörungen können breitere gesamtwirtschaftliche Auswirkungen haben und zu einer Wachstumsabschwächung sowie einer Verschärfung der Finanzierungsbedingungen führen, die bedeutende Kosten für die Volkswirtschaft nach sich ziehen. Daher sind die jüngsten Entwicklungstendenzen an den Schuldtitelmärkten und die Veränderungen bei der Kreditintermediation auch für die Geldpolitik von Relevanz.

 

1 M. Chui, I. Fender und V. Sushko, „Risks related to EME corporate balance sheets: the role of leverage and currency mismatch" (nur in Englisch verfügbar), BIZ-Quartalsbericht, September 2014.

2 Ein Schuldtitel wird in den BIZ-Statistiken als international (IDS) eingestuft, wenn sich mindestens eines der folgenden Merkmale vom Sitzland des Emittenten unterscheidet: das Land, in dem das Wertpapier registriert ist, das Land, nach dessen nationalem Recht die Emission erfolgt, oder der Standort des Marktes, an dem das Papier notiert ist. Alle anderen Schuldtitel werden als inländisch (DDS) klassifiziert. Siehe B. Gruić und P. Wooldridge, „Verbesserungen der BIZ-Statistiken über den Absatz von Schuldtiteln", BIZ-Quartalsbericht, Dezember 2012.

3 K. Miyajima und I. Shim, „Asset managers in emerging market economies" (nur in Englisch verfügbar), BIZ-Quartalsbericht, September 2014.

4 Anlagen Gebietsfremder machen etwa ein Viertel des Gesamtbestands an globalen Schuldtiteln aus, während die verbleibenden 75% auf inländische Anleger entfallen. Siehe B. Gruić und A. Schrimpf, „Kasten 2: Grenzüberschreitende Anlagen am globalen Schuldtitelmarkt seit der Krise" im Kapitel „Wichtigste Erkenntnisse aus den internationalen BIZ-Statistiken", BIZ-Quartalsbericht, März 2014.

5 Bei der Auswahl der betrachteten Länder belief sich der Anteil der umlaufenden internationalen Schuldtitel in den langfristigen Zeitreihen zur Kreditvergabe an den privaten Nichtfinanzsektor nach Sitzland Ende 2013 auf etwa 1%. Siehe C. Dembiermont, M. Drehmann und S. Muksakunratana, „Wie hoch ist die Kreditaufnahme des privaten Sektors tatsächlich? Eine neue Datenbank für die Gesamtkreditvergabe an den privaten Nichtfinanzsektor", BIZ-Quartalsbericht, März 2013. Es ist anzunehmen, dass grosse Nichtfinanzunternehmen sich am internationalen Anleihemarkt finanzieren.